Aus Savièse wird erzählt, einst habe ein junger Bursche seiner Liebhaberin zu Nachts einen Besuch abstatten wollen. Er fand die Türe geschlossen, aber in ihrer Kammer Licht. Er schlich darum zum Fenster hinauf, um abzulauschen, was es da wohl gebe. Da sah er durch die Fensterscheiben seine Geliebte allein, angetan mit schönen Tanzkleidern sich zur Abreise rüsten. Als sie alle Vorkehrungen getroffen, nahm sie aus einem verborgenen Schranke eine Salbe hervor und bestrich sich damit leicht den Hals und die Spitzen der Finger und Füsse, sprechend: «Trage mich über Holz und Laub», und fort war sie.
Unserm Liebhaber vor dem Fenster war's nicht wohl im Herzen; unwirsch stieg er in die Kammer hinein, suchte und fand die Wundersalbe und tat damit ebenso wie er es seine Liebste hatte vormachen gesehen. Leider hatte er die Worte unrecht verstanden oder schlecht ausgesprochen; er sagte: «Trag mich durch Holz und Laub.» Er wurde darum statt über Holz und Laub jämmerlich durch Bäume und Gesträuche fortgeschleppt, dass seine Kleider zerrissen und er am ganzen Leibe elend zerkratzt und verwundet wurde. Doch gelang es ihm richtig, seine Geliebte beim lustigen Tanze einer Hexensynagoge in munterer Gesellschaft wieder zu finden. Er musste aber beim Eintritt in die Gesellschaft, wie alle Übrigen, dem Tanzvorsteher den vorgeschriebenen Huldigungskuss auf den Unaussprechlichen geben, was er sehr unwillig aber doch tat.
Nach nicht gar zu langem Tanzen kam es zum Abendessen. Ein Tisch voll der schmackhaftesten Speisen, mit Honig und Zucker verschwenderisch gewürzt, lud die hungrigen Gäste zum Schmause ein. Doch bevor jemand zugreifen durfte, verlangte der Vorgesetzte die Namensunterschrift mit eigenem Blute. Jeder schrieb der Reihe nach, sich den kleinen Finger ritzend, seinen Namen in ein grosses Buch und begann dann munter zu essen. Auch unserm Neulinge wurde das Buch vorgehalten und auch er sollte schreiben. Nach einigem Bedenken schrieb er, aber nicht seinen Namen sondern "Jesus, Maria, Joseph". — Ein entsetzliches Geheul erscholl ringsherum und alles entschwand in einem Augenblicke in Rauch, Flammen und Feuer.
Der Arme, den es fast reute, das herrliche Essen so verschüttet zu haben, fand sich allein auf der höchsten Bergspitze sitzend, wie ein Reiter im Sattel, und die köstlichen Speisen entlarvten sich vor seinen Augen als eine stinkende Masse abgestandener Pferdeknochen.
Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch