Es war einmal eine brave Frau an einen Stridel verheiratet. Sie wusste es nicht und handelte darum stets in guten Treuen. Eines Tages mähte ihr Mann in einer etwas entlegenen Wiese. Das Weib trug ihm das Essen nach und nahm die Heimziege mit. Während dem Essen betrachtete der Mann mit gierigen Augen die munter grasende Ziege, besonders schien ihm das hängende, schöne, volle Euter zu gefallen. Er sprach darum zum Weibe: «Aber wenn ein Wolf käme und uns die Ziege frässe, was würdest du wohl sagen?» Das Weib lachte: «Ein Wolf kann jetzt mitten im Sommer hier in diese Wiesen, wo ringsum so viele Leute sind, nicht kommen und unsere Ziege nicht anpacken.» «Ja, aber wenn es doch so wäre?» fuhr der Mann fort. «Schweig mir von einem Wolf», sprach das Weib unwillig, «davon mag ich eben nichts hören». Und der Mann schwieg; ging aber in ein nahes Gebüsch, setzte sich das Sacktuch als Schwanz an und kam als Wolf zurück, gierig auf die schöne Ziege losspringend. Das gute Weib erschrak heftig, besann sich aber gleich wieder. Im Flug ergriff es die Sense und damit auf den Wolf los, der bald am Fuss schwer verletzt, heulend und blutend sich zurückzog und sich nicht wieder sehen liess.
Lange wartete die Hausfrau mit Ungeduld auf die Rückkehr ihres Mannes, weil so nur der Tag, nicht aber die Arbeit vorwärtskam. Endlich musste sie doch allein mit der Ziege heim. Mit Staunen fand sie schon auf der Haustreppe Blut, und Blutspuren bis zum Bette, wo sie ihren Mann schwer verwundet antraf. Dieser offenbarte ihr nun das Geheimnis und sein selbst verschuldetes Leiden. — Das Weib wollte sich aber mit solchen Hexereien nicht befreunden und verklagte ihren Mann bei der Obrigkeit als einen Stridel. Als solcher musste dieser auch bald sein Hexenhandwerk auf dem Scheiterhaufen enden.
Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch