Zaubergeschichten in der Augstbortalpe

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Im Bergtale, das die Gemeinde Emd von St. Niklaus trennt, liegt die Hochalpe

Augstbort mit dem Hochpasse gleichen Namens, der ins Turtmanntal hinüberführt. — Der Name mag herkommen, weil diese Bergweide erst im Augustmonat kann abgeätzt werden; sowie eine Spätweide in der Belalpe auch wohl darum die "Augstkumme" heisst. — In neuester Zeit ist dieser Bergpass so ausgebessert worden, dass die Touristen selben nun zu Pferde überschreiten können. Von der Passhöhe führt noch ein neu angelegter Fussweg auf's "Schwarzhorn" hinauf, das die herrlichste Rundschau in die erhabene Gebirgswelt bietet.

In der Bergschlucht Augstbort sprudelt, ungefähr in der Höhe, wo die Holzregion aufhört, aus einem Felsen hervor die vielbelobte Quelle, "Goldbrunnen" genannt, von der schon alte und neuere Schriftsteller reden und die mag bekannt geworden sein in alten Zeiten, wo dieser Bergpass oft ist benützt worden. Es scheint die Grafen oder Oberherren in Visp hätten das Vispertal an seiner Mündung so abgeschlossen, dass die Leute von Gafental (St. Niklaus — Zermatt) sich mit ihren Herrschaften in Raron und Leuk nur mittelst dieses Passes in Verbindung setzen konnten. — Darum mag auch der Weg nach Törbel, der zu diesem alten Bergpasse, oder durch die Moosalpe nach dem Bezirke Raron führt, sein sprichwörtliches Alter haben; — man sagt von einer alten Person oder Sache, sie sei "so alt als der Weg an Törbel".

Aus der Hochalpe Augstbort wird manche Zauberei erzählt. — Einst sassen die Alpleute ruhig in ihrer Hütte beisammen; da brachen auf einmal alle hölzernen Milchgeschirre, die zum Trocknen auf dem Hüttendache aufgestellt waren, aus und rollten polternd und klirrend über das Dach herunter und den Stafel herab. Als die Leute aufsprangen und die Geschirre wieder sammeln und heimbringen wollten, waren alle bester Ordnung, auf dem Dache und keines fehlte. — Eines andern Spätabends wurde das Alpvieh vom Nachtlager aufgetrieben und davongejagt; die Kühe schnurrten heftig, stampften mit den Füssen den Boden und alle Viehschällen klangen hell: Als aber die Alpleute herbeieilten, um das aufgeschreckte Vieh zu beruhigen, sieh! da pflegten alle Tiere der stillsten Nachtruhe und nicht ein einziger Kalle schlug an die Schälle. — Einem Alpweibe begegnete einst am hellen Tage auf der Wasserleitung, die das Wässerwasser nach Törbel und Zeneggen führt, ihr eigenes Alpschwein übel zugerichtet und vor Schmerzen grunzend; ein Auge war ausgerissen und hing nur noch an einem Blutfaden die Wange herab. Mitleidig führte die bestürzte Hausfrau das leidende Schwein wieder heim. Als sie aber die Schweinstalltüre öffnete, sieh! da war ihr Schwein gesund im Krommen und das verschlagene ihren Augen entschwunden.

Einst besorgten zwei junge Mädchen ihr Vieh in der Augstbortalpe. Sie erhielten in den Abendstunden nach getaner Arbeit oft Besuche von einem unbekannten Weibe, das sie angenehm zu unterhalten wusste. Eines Abends lud dieses Weib die Mädchen ein, mit ihm nach "Jungen" (St. Niklaus) zu einem lustigen Abendsitze zu kommen. Sie folgten. Der Weg führte sie durch eine mit Gesträuch dicht überwachsene Halde hinauf und hinüber. Die unbekannte Begleiterin wollte die Mädchen vorangehen lassen; diese aber, weil sie den Weg nicht kannten, weigerten sich dessen hartnäckig. Das Weib musste nachgeben und voran. Da merkten die erschrockenen Mädchen, dass ihre Führerin am linken Fusse nicht Menschengestalt, aber einen Hahnenfuss habe. In der Angst begannen sie gleich ein "Ave Maria" zu beten und sieh! ihre Begleiterin war entschwunden; der Tag begann zu grauen und mit Erstaunen sahen sie sich so hoch ins Gebirge entführt, dass sie erst am Abend müde und entkräftet ihre heimatliche Alpe wieder erreichten. — Und wer das zuletzt erzählte, dem ist der Mund noch warm.

 

Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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