Ein junger Mann in Savièse, so wird erzählt, liebte das Jagen sehr und verlebte manch schönen Tag in den Hochgebirgen. Bald liess er sich aber als Soldat nach Neapel anwerben und bekam da auch Gelegenheit, von den lieben Flinten Gebrauch zu machen, zwar nicht gegen Gemsen, aber gegen Menschen. Er musste nämlich einmal einen Feldzug mitmachen, wo eines Tages Freunde und Feinde massenhaft niedergeschossen wurden und auch er, zwar unverletzt, den Boden suchte, um sich hinter den Lerchen zu verbergen und vor feindlichen Kugeln zu schützen. Da hörte er einen Toten, neben dem er lag, deutlich zu ihm sagen, er habe gar nicht nötig sich zu verstecken, weil er nicht hier, sondern in den Felsklüften hinter dem Prabé-Berge in Savièse sterben werde. — Wirklich entkam unser furchtsamer Soldat mit heiler Haut und kehrte nach erfüllter Dienstzeit in sein Vaterort zurück.
Hier vergass er nun allerdings die Weissagung nicht, die er so sonderbarerweise auf dem Schlachtfelde in Neapel vernommen hatte; nahm sich darum vor, obschon er die Jagd noch immer sehr liebte, ferners nie mehr in die bezeichneten Felsklüfte sich hin zu wagen. Unser Jäger blieb lange beim guten Vorsatze und er wurde ziemlich alt. Eines Tages jedoch, weil ihm die Witterung so günstig und einladend vorkam, ergriff ihn eine grosse Jagdlust; er warf seine Büchse über den Rücken und zog, fast willenslos den Berg hinauf. Bald ist die Kante des Berges Prabé — und weiter wollte er nicht — erreicht. Doch ein schöner Gemsbock fällt ihm im jenseitigen Gebirge in die Augen, dem er fast auf Schussweite nahe ist. Ohne zu überlegen ging er freudig auf das schöne Tier los, das eben nur in dem Masse voraneilte, als er nachzufolgen im Stande war. Es lockte ihn so unvermerkt in die Felsklippen hinein, wo er leider den Tod fand, der ihm war vorgesagt worden.
Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch