Das sogenannte "Schaflaufen" ist ein im deutschen Wallis allbekanntes Erholungsspiel für die kleinere und grössere Jugend. Sobald der Frühling angebrochen, d. h. der Winterschnee geschmolzen und die Wiesen zum "laufen" trocken, ehe das Gras spriesst, sammeln sich die jungen Leute an Sonn- und Festtagen auf grösseren Ebenen zum "Schaflaufen". Dieses erste gemeinschaftliche Zusammenspielen der jungen Leute im Frühling hat einen besonderen Reiz für dieselben, findet aber kaum ein-oder zwei Mal im Jahre statt, weil das Gras schnell emporschiesst, Sommer und Herbst nicht mehr dazu taugen, und das Spiel, das eine bedeutende Kraftanstrengung erheischt, bald befriedigt. Es passt also nur so zum ersten Ausfluge nach dem langen Winterschlafe.
Das Spiel besteht darin, dass die jungen Leute einander im Laufen auffangen und gefangen halten, bis selbe nach der Regel wieder ausgelöst werden. Wird das verhindert und sind alle gefangen, so ist das Spiel für die Fänger gewonnen und ein neues fängt an. Diejenigen, welche fangen sollen werden zum voraus bezeichnet. Kinder losen die Fänger aus mit dem alten weitbekannten Spruche: "Aenni — Pänni — Toppi — Teji — Tiffi — Taffi — Nomi — Neji — Hack uns— Brod — Zimmer — Not — Tsching — Fang -- Tuss!" Wen "Tuss" trifft, der muss fangen. — Es gibt aber Orte, wo regelmässig die ledigen Töchter zusammen verurteilt sind, die herumlaufenden Buben aufzufangen. Man kann sich vorstellen, dass da mancher Läufer mit einer hübschen Fängerin leicht kapituliert, d. h. nach nicht gar zu langem Laufen sich gerne fangen lässt.
Das Erholungsspiel des Schaflaufens ist sehr alt und wird in einer traurigen Sage erwähnt:
Im Flecken "Feld", nahe bei der Schutzengel-Kapelle in Törbel, breitet sich eine schöne Wiesenebene aus, zum Schaflaufen gut geeignet. Leider stösst dieselbe, nach schmalem Abhange, an einen hohen Felsen-Abgrund. Einst ergötzten sich eben auf dieser Ebene die jungen Leute mit Schaflaufen. Zwei derselben boten einander ihre besondere Kunst und Kraft; weder Läufer noch Fänger wollte sich überwinden lassen. Zum Unglück führte sie ihr fliegender Lauf von ungefähr zur gefährlichen Stelle heran. Beide schossen den schmalen Abhang hinab; fanden die Kraft nicht mehr, ihren Lauf zu hemmen und stürzten beide in den Abgrund, wo man sie nur noch als verstümmelte Leichen aufhob. — Wer an Ort und Stelle gewesen, wird sich kaum wundern, die "Todeskreuze" dieser jungen, unvorsichtigen Spieler an der Strasse zum "traurigen Andenken" aufgepflanzt zu finden.
Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch