Es gibt Leute in der Welt, die unter den Mitmenschen nicht ohne Streit und Hader sein können und mit dem Einen oder dem Andern immerdar zanken müssen. Ebenso werden auch Prozessliebhaber gefunden, die ohne Rechtshändel ihre Tage nicht verleben wollen. Dass die Einen so ihre Ruhe, Zufriedenheit und Gesundheit opfern, die Andern aber ihr Hauswesen völlig zu Grunde richten, braucht wohl nicht gesagt zu werden Das Traurigste dabei ist noch, dass solche Zänkereien und Streithändel sehr oft in einer und derselben Familie, unter Anverwandten und Brüdern vorkommen und sich da auf Generationen vererben.
Unter den vielen Beispielen, die jeder mit eigenen Augen mag gesehen haben und noch sehen, erzählt eines eine Sage aus St. Niklaus. — Im vorigen Jahrhunderte war unter zwei Brüdern einer sehr streitsüchtig, liebte und übte Raufhändel und Prozesse. So erhob er einen sehr langen und kostspieligen Prozess mit seinem Bruder über eine "Hotzdecke" — (aus Wergabfällen zusammengestülpt und gewoben). Zweitausend Pfund waren schon für das elende Zeug an Gerichtskosten verschlagen und der Handel blieb so verwickelt und verworren, dass die Richter in Verlegenheit waren, das Recht zu sprechen. Diese luden darum die streitenden Brüder nochmals zur Versöhnung vor und baten, den Handel doch gütlich beizulegen. Der eine Bruder zeigte sich bereit, zum Frieden sein Mögliches beizutragen; aber der andere erklärte fest und entschlossen, er werde zu prozedieren fortfahren auch wenn er darüber seinen Bruder würde am Galgen sterben sehen. — Diese lieblose Äusserung ergrimmte die Richter derart, dass sie gleich das Urteil fällten, dem die Erwägung vorangesetzt wurde: «Keine Gnade verdient Derjenige, der selber keine gewähren will.»
Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch