Mitten in steilen Felsen und hängenden Bergwänden liegt unter Zeneggen im Nord-Ost das fast öde und wenig besorgte Fleckchen "im Eich", welches wohl wenige der Sterblichen gesehen und wegen seiner vollen Abgeschlossenheit noch wenigere betreten haben. Nur im Spätsommer 1868, wo die Wut der Vispe ihre vielhundertjährigen Dämme durchbrochen, die Bürgschaft Visp zum Teil eingerissen und die ganze Grundfläche so unter Wasser gesetzt hatte, dass aller Verkehr zwischen dem rechten und linken Vispenufer auf mehrere Wochen völlig abgeschnitten wurde, erhielt das in Felsen wohl eingemauerte Eich unwillkürliche Besuche von vornehmen Pariser-Herren und eleganten Engländer-Damen, die auf einem mehr als dreistündigen mühevollen Umwege dort in struppigen Gesträuchen ihre weiten Kleider bürsteten und auf steinigen Ziegenpfaden mit langen Stöcken in der Hand, sehr bedächtig und behutsam ihre zarten Schuhe auf eine harte Probe stellten.
Das war aber nicht immer so. Die Sage erzählt, dass ehemals viele Barone mit Dienerschaft, weiten Mänteln und Seitendegen aus der Hübschburg ob Visp und anderen Gegenden nach Visp zur Pfarrkirche gekommen seien. Einer dieser Barone hauste im Eich. Diese Herren schienen in Visp viel zu gelten, denn der Sigrist hatte den gemessenen Befehl, nicht eher zum Gottesdienste zu läuten, als er selbe würde herabsteigen und herankommen sehen. — Möglich, dass in Zeiten, wo die vornehme Welt das Flachland floh und gerne auf Hügeln und in unzugänglichen Felsen nistete, auch im Eich und in andern Felsburgen reiche Herren mit ihren Familien vor feindlichen Überfällen sich sicherstellen wollten.
Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch