Es war einmal ein armer Mann, der hatte einen Tschuppen Kinder. Ich glaube, es waren deren zehn oder zwölf, so dass er nicht mehr wusste, wie er die vielen hungrigen Mäuler stopfen sollte; denn zu dem kargen Äckerlein besaß er nur ein mageres Kühlein. Und zuletzt am Ende musste er auch das verkaufen, so arm war er dran.
Auf dem halben Wege zum nächsten Marktflecken begegnete ihm ein munzig kleines, buckliges Mandli, das beugte sich zitternd über seinen Knotenstock und fragte ihn: «Wohin gehst du, armer Mann?» Der antwortete: «Ich habe nichts mehr, das ich meinen Kindern zu essen geben könnte, nun gehe ich meine einzige Kuh verkaufen.» «Oh! Nein, du musst sie nicht verkaufen. Du erbarmst mich, ich will dir aus der Not helfen. Nimm hier dieses Fläschlein, und wenn du nach Hause kommst, so stell es auf den Tisch und sprich; Deine Kuh aber gib nicht aus der Hand. Es sei denn du seist in äußerster Not.» Also sprach das Mandli und humpelte an seinem Stock davon. Als der Mann nach Hause kam, sagte seine Frau: «Was, du hast die Kuh nicht verkauft! Mein Gott, was sollen jetzt unsere Kinder essen?» «Oh! Warte nur, ich habe etwas weit besseres als Geld!» versetzte der Mann. Dann trat er ins Zimmer, stellte die Flasche auf den Tisch, versammelte Frau und Kinder um sich und sagte: «Fläschlein, Fläschlein, tu' deinen Dienst!» Und da - ihr könnt's euch wohl denken - da kam sogleich das beste Essen von der Welt auf den Tisch! und die Kinder mussten nicht mehr hungern. Was immer der arme Mann verlangen mochte, nie versagte das Fläschlein seinen Dienst.
Nun hatte aber der Arme einen reichen Nachbar, den stach der Gwunder und der Neid, als er sah, wie gut es auf einmal den armen Leuten ging. Und eines Tages fragte er ihn, wie er denn zu solchem Wohlstand gekommen sei. Der erwiderte: «Ich hab ein Fläschlein, das gibt mir alles, was ich von ihm verlange.» Da lud ihn der Nachbar zum Essen ein und bat ihn arglistig, sein Fläschlein mitzubringen. Sie stellten es auf den Tisch. Da versuchte der Reiche den Armen zu beschwatzen: «Ich will dir alles geben, was du nur willst, wenn du mir dein Fläschlein überlässt!» Zuerst wollte der Arme nichts von dem Tausche wissen. Aber der Reiche bot ihm Haus und Hof und alles Land, das er besaß. Da meinte der Arme, er sei dann reich genug, so dass er auf das Wunderfläschlein verzichten könne, und schlug ein. Aber ihr könnt euch gewißlich denken, wie es weiter gegangen ist. Bald war er wieder so arm wie zuvor, und sah sich gezwungen mit seinem Kühlein zu Markte zu gehen. Als er an dieselbe Stelle kam, da stand wieder das kleine bucklige Mandli am Wege, das empfing ihn mit den Worten:
«So, so, bist du schon wieder unterwegs! Was fehlt dir denn jetzt?» Nun erzählte der Verarmte wie es ihm ergangen war: «Ich habe mich von meinem Nachbarn beschwatzen lassen, er hat mir das Fläschlein abgelistet, und jetzt habe ich nichts mehr!» «Wohl, wohl», erwiderte das Mandli. «Hier hast du ein anderes Fläschlein. Es ist größer als das erste. Dieses wird jenes auffressen. Hab Sorg dazu und gib acht, dass es dir nicht noch einmal ergeht wie vordem. Es ist das letzte Mal, dass ich dir helfen kann.» Und damit humpelte das Mandli an seinem Stocke davon.
Überglücklich begab sich der Mann nach Hause und lud seinen Nachbar ein. Sie stellten beide Flaschen auf den Tisch. Da sagte der Arme zu seiner Flasche: «Fläschlein, Fläschlein, tu' deinen Dienst!»
Da verschlang die große Flasche die kleine, und der Arme kehrte wieder in sein altes Haus zurück, wo er glücklich lebte bis an seinen Tod.
Aus: Schweizer Märchen, Sagen und Fenggengeschichten, hrg. von Curt Englert-Faye, Zbinden Verlag