Im Hintergrunde des Fieschertales findet sich eine schöne Ebene, Unterberg genannt. Da hausten vor vielen hundert Jahren zahlreiche Schlangen, die keine lebende Seele schonten. Kam jemand in ihre Nähe, so fingen sie an, sich insgesamt im Kreise zu drehen, zu zischen und Gift zu werfen. Niemand war da des Lebens sicher, und alles floh entsetzt, um den Ort nicht mehr zu betreten.
Die schöne Gegend war so unbewohnbar, und für die Ausbeutung verloren. Darum sann man auf Mittel, die lästigen Schlangen zu vertilgen. Keiner wollte sich aber getrauen, gegen diese giftigen Tiere etwas zu unternehmen. — Da bot sich Einer an, die Schlangen zu jagen, wenn man ihm Versicherung gebe, es seien nur schwarze und keine weissen Schlangen darunter. Weil niemand je eine weisse Schlange wollte gesehen haben, so machte sich der Schlangenverderber mutig an's Werk. Er nahm eine Salbe, eine Pfeife und eine lange Rute. — Die Schlangen, seine Ankunft witternd, taten sehr wild; sie sprangen im Kreise herum, zischten grell und spien gewaltig Gift. Es wäre um ihn geschehen gewesen, wenn er nicht schnell die starkriechende Salbe gezogen, welche die Schlangen betäubte, und die Pfeife geblasen hätte, die sie willenslos heranhüpfen machte, wo er alle gleich mit der Rute totschlug, oder im "weissen Wasser" ersäufte.
Die Schlangenniederlage war vollständig. Alles lobte den kühnen Sieger, der selbst über den Erfolg nicht wenig, stolz war. — Aber o weh! — Plötzlich erschienen drei weisse Schlangen, welche, durch die Salbe nicht gelähmt und durch die Pfeife nicht betäubt, sich grimmig auf den Feind losstürzten. Sie würgten ihn am Halse und am Leibe zu Tod, und verschlangen ihn mit Fleisch, Bein, Haut und Haar; — von ihm blieb keine Spur.
Auch die weissen Schlangen verschwanden und wurden, nie mehr gesehen. Ob sie sich am Banner den Tod gegessen oder sonst sich verkrochen haben, weiss niemand zu sagen. — Tatsache ist, dass seither Unterberg von Schlangen frei ist.
Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch