Aus den für Oberwallis ruhmvollen, aber unheilbereitenden Tagen des Pfynkrieges 1799 erzählte ein Augenzeuge manche Einzelheiten, die bis dahin noch nicht zu Papier gekommen.
In den ersten Wochen, als die Oberwalliser gegen die Franzosen den Pfynwald verteidigten, lagen die feindlichen Scharen gewöhnlich auf dem jenseitigen Rhoneufer bei der Sidersbrücke. Die Oberwalliser wagten sich auf die untersten Hügel des Pfynwaldes hinab und sandten von da aus, ganze Tage lang, ihre Ballen auf die Feinde, ohne dieselben merklich zu beunruhigen; die Reiter sassen nach dem Schusse eben so fest im Sattel, wie zuvor. Eines Tages war ein Trupp Oberwalliser auf einem dieser Hügel beschäftigt, kehrweise von einer vorgespannten Latte ihre schweren Karabiner und Musketen auf die Feinde zu entladen. Da kam eine feindliche Kanonenballe dahergeflogen und nahm einem Schützen, der eben offen an der Latte stand und schiessen wollte, den Hut samt dem Kopfe bis auf die Augen weg. Das machte die Übrigen behutsamer und lehrte sie fortan, nur aus Verstecken schiessen.
Die Oberwalliser hatten auf ihren Erdwällen auch hölzerne Kanonen, die mit starken Eisenringen zusammengebunden waren. Herr Kommandant Walther, der in Visp für's Vaterland starb, befehligte diese sonderbare Artillerie. Die Oberwalliser hatten aber auf dieses Geschütz wenig Vertrauen, weil es daran immer etwas zu flicken gab; auch scheint's dem Feinde nicht gar verderblich gewesen zu sein.
Viel zu leiden hatten die Oberwalliser vom feindlichen Geschütze aus den Bergen von Varen her; die Ballen trafen zwar selten, weil die Kanonen zu hoch gerichtet waren und manchen Baum des höheren Waldes verstümmelten. Dies glaubten unsere Leute dadurch veranlasst zu haben, weil sie nach jedem Schusse aus der Schanze heraus zu springen pflegten und die einschlagenden Ballen vor den Erdwällen heraus zu suchen sich den Anschein gaben; immer höher und höher flogen darum die Ballen über ihren Häuptern hinweg. Einmal jedoch schlug eine Balle in die provisorische Feldküche gerade unter den grossen Fleischkessel ein, beschädigte diesen zwar nicht, doch stäubte sie den letzten Feuerfunken darunter fort, so dass die Soldaten für diesen Tag nur mit halbwarmer Kost vorlieb nehmen mussten.
Bei den Oberwallisern waren im Pfyn auch kaiserliche Husaren, mit welchen sie eben nicht wohl zufrieden waren, so wenig als mit den hölzernen Kanonen; sie meinten sie nützen wenig und fressen ihnen nur immer das Beste weg; — die Kaiserlichen wurden im Wallis überall angeschrieben als an Appetit eben nicht kranke Krieger. — Eines Tages ritten Vater und Sohn, so wird erzählt, die Fahrstrasse hinab um nach Feinden zu spüren. Da begegnete ihnen in einiger Entfernung ein französischer Reiter. Umkehren wollte keine Partei, weil es Feigheit verraten hätte, und zwei gegen nur Einen zu streiten wäre ebenso ehrlos gewesen. Darum wollte der Sohn voran. Aber der Vater, der den Franzos mit seinem Scharfblicke wohl gemustert hatte, sagte: «Wart Bub! dem bist du's nit.» Gleich hielt jener an und liess diesen voran, der seine Tabakspfeife zog und gemächlich zu stopfen begann. So trat er an den Franzos heran und liess diesen nahe kommen. Aber sein Schwert ziehen, dem Feinde den Kopf spalten, umkehren, die gestopfte Pfeife anzünden und gemütlich zurücktraben, wie er gekommen, das war eine und dieselbe Arbeit.
Der Erzähler fügte bei, als er am letzten Morgen durch ein entsetzliches Geschrei aus dem Schlafe aufgeschreckt wurde, begann der Tag eben zu grauen. Gleich griff er nach seinem Stutzer, entlud denselben noch auf eine Linie Feinde, die eben vor der Schanze eine grosse Schwenkung vollführte, und lief davon, weil's keine Zeit zum Kämpfen — nur zum Sterben mehr gab.
Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch