Aus den ruhmvollen Freiheitskämpfen unserer Voreltern erzählen sich die Leute noch manches, so die Geschichtsschreiber eben nicht aufgezeichnet haben. Ich führe hier z.B. folgende Sage an:
Einst zogen wieder Feinde in gewaltigen Haufen das Wallisland hinauf, um den köpfischen Bauern da droben ihre Freiheit mit blutigem Schwerte verleiden zu machen und sie Gehorsam und Unterwürfigkeit gegen grosse Herren zu lehren. Die Männer der tieferen Gegenden wurden alle aufgeworben und mit in den Kampf gegen Oberwallis gezogen.
Während des Feldzuges machten nun Weiber ihre Wäsche an einem Waschtrog, dem das Wasser aus der Rhone zufloss. — Die Frühlingssonne schien warm hernieder und machte die Wäscherinnen eben gut gelaunt; nicht nur ihre Hände waren tätig, auch ihr geläufiges Redehaus, wie das nicht anders sein kann, — ruhte nicht und klapperte ununterbrochen im muntersten Gemurmel und Gezische fort. Natürlich fielen diesmal die Waschweiber über den Kriegszug und die zu bekämpfenden Feinde her. «Mich wundert's», meinte die eine, «ob diesmal die dummen, viereckigen Lümmelköpfe da oben nicht etwas runder und gelimpfiger werden mögen?» «O gewiss!» lachte die andere, «rund und kugelig wie geschliffener Rhonesand! O wie ist mir da wohl ums Herz! — Mein Mann hat mir versprochen, aus dem Kuhland da oben, wo Kälber tanzen und Stiere Musik machen, recht was Schönes heimzubringen. O wie freue ich mich des guten Tages! Ach! Schau wie das Wasser sich rot färbt! Wohl schönes Rossblut müssen die stolzen Ringkühe haben, die man heute da oben an der Rhone totschlägt! Das schmeckt mir besser als Honig und glänzt heller als Gold!» — Und im gleichen Augenblicke trug das Wasser ein abgeschlagenes Haupt herab und warf es der frohen Wäscherin in den Trog. — Es war der blutige Kopf ihres Mannes!
Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch