Saastal
In Saas erzählen sich die Leute, dass vor uralter Zeit über den Monte-Moro einmal eine Schaar Feinde habe ins Land einfallen wollen. Niemand wusste etwas von ihrem Anzuge. Als sie die Passhöhe überschritten hatten, lief ein Taubstummer, der in seinem Leben nie ein Wort gesprochen, wie wahnsinnig in der Distelalp, der ersten am Passe, von Hütte zu Hütte und stammelte überall sehr deutlich die Worte: «Sie kommen, sie kommen die Tällibörter nieder». Alles geriet in Aufregung. Der Taubstumme nahm eine grosse Steinplatte auf die Achsel, stieg damit auf ein Hüttendach und schrie laut: «Den ersten, der kommt, schlag ich tot». — Und es kam einer, angetan mit einem hellroten Rocke; er war den Übrigen vorausgeeilt. Der Stumme hielt Wort und schlug ihn tot als jener an ihm vorübergehen wollte. Gleich zog er ihm den roten Rock aus, legte selben selber an, nahm den losgerissenen Kopf des Erschlagenen in die Hände und zog so dem Feinde entgegen. Die Alp-Weiber nahmen Gabeln, Sensen und andere Instrumente zur Hand und folgten emsig. Da erschraken die Feinde über diesen Anzug so, dass sie umkehrten und eilig wieder über den Mondellipass aus dem Lande liefen. Bei dieser Gelegenheit soll das Mirakelbild der Muttergottes zur hohen Stiege, damals noch in einer Mauer unter freiem Himmel, Blut geschwitzt haben.
Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch