Es war einmal im Lande Wallis ein sehr heiliger Bischof, mit Namen St. Jodern (Theodul-Theodor). Einst hatte der Frost die Weinlese völlig zerstört und die guten Leute litten grossen Mangel. Jammernd kamen sie zum Bischofe, der sich ihrer erbarmte, eine Kufe voll Wein segnete und alle tröstend einlud, zu kommen und laut Bedürfnis Wein daraus zu ziehen; nur hatte er ihnen strenge verboten, die Kufe nicht etwa zu öffnen. Und die Kufe gab des köstlichen Weines so viel man nur verlangte; sie versiegte nie und ward nie leer. — Man nannte sie darum die "St. Jodern-Kufe". Sie soll im Bischofskeller neben der alten St. Peterskirche in Sitten gestanden haben.
Und das währte so der Jahren viele fort – die Kufe gab noch Wein als der Hl. Bischof längstens gestorben. — Da wollte es das Unglück, dass einmal gar vorwitzige Leute zur Kufe kamen, die sehen wollten, was dann endlich und letztlich diese Wunderkufe wohl in sich bergen möge. Mit frevelnder Hand ward dieselbe aufgerissen und sieh! — die Kufe war trockenleer — nur am obern Spundloch hing eine schöne volle Traube, die jedoch gleich verdorrte und in Staub sich auflöste. Auch die Kufe fiel in Trümmer und liess sich nicht mehr zusammenfügen.
Wenn seither jemand im Keller ordentlich Wein hat, oder aus einem Geschirre über Erwarten Wein bekommt, so sagt man, er habe die St. Jodern-Kufe im Keller.
Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch