Zur Zeit, als die Jesuiten noch in Brig waren, hörte ich von einem Professor auf einem Spaziergange ein seltsames Ereignis den Studenten mitteilen, welches einem frommen Bruder aus ihrer Gesellschaft soll begegnet sein. Dieser Bruder betrieb die Feldarbeit und keine Politik; er war eben in den sogenannten Triesten emsig damit beschäftigt, als es um elf Uhr zum Angelus läutete und er eben andächtig sein Gebet verrichten wollte. Er schaute nach der Klosterkirche in Brig und sah zu seinem grössten Erstaunen, weder Pensionat noch Kloster, wohl aber die Kirche. Er traute anfangs seinen Augen nicht und meinte es sei eine Versuchung vom bösen Feind, der ihn im Gebete stören wolle. Er wandte darum seine Augen ab und verrichtete das Gebet, konnte sich jedoch nicht enthalten, hie und da noch nach dem Kloster umzublicken; aber es blieb immer noch die gleiche Erscheinung. Nach Abbetung des englischen Grusses nahm er wieder rüstig die Stechschaufel zur Hand und setzte die Arbeit fort. Doch das seltsame Gesicht, das er soeben hatte, liess ihm keine Ruhe; er schaute wieder hinauf und jetzt sah er zu seinem grössten Schrecken weder Pensionat, noch Kloster, noch Kirche mehr und so oft er von diesem Standpunkte hinüber blickte, sah er die gleiche trostlose Erscheinung. — Nach ein bis zwei Stunden sei jedoch das Kloster und die Kirche wieder zum Vorschein gekommen. — Was damals belächelt wurde, ist zum traurigen Ernst geworden: Pensionat und Kloster der Jesuiten sind verschwunden. Möge Gott verhüten, dass die Kirche, d.h. die Religion, nicht auch von Brig verschwinde!
Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch