Unterhalb Täsch, hebt sich hoch über St. Niklaus der Räti mit einer schroffen Felswand gegen das Tal. An dieser Wand steht ein kleines Muttergottesbild von Stein. Früher stand es unten am Wege. Da flehte einer zu ihm, blieb aber unerhört. Da griff er, als er wieder kam, hin, und bewarf das Bild mit Unrat, und da weinte das Bild. Dennoch bewarf er es noch einmal, da hob sich das Bild hoch hinauf an die Felswand; dort stand es nun, und niemand konnte es erlangen. Den Talleuten jammerte das, sie hatten das Bildchen lieb gehabt und es sehr verehrt, und mochten's gern wieder herunter haben. Aber der Felsen an jener Wand, war zu steil, keiner vermochte daran emporzuklimmen, und keine Leiter reichte zu solcher Höhe. Darauf wurden sie in St Nikolaus Rates einig, sie wollten's von oben versuchen, und eine Schar erkletterte den Rätigipfel, und sie hatten sich Merkzeichen gemacht, und gerade über dem Bilde wurde nun an starken Seilen ein Mann hinabgelassen, der sollte es heraufholen. Schon war der Mann fast am Bilde, er sah es schon stehen, da sah er, wie das Seil immer dünner wurde, wie ein Bindfaden, und dachte, dass es nicht halten und er jämmerlich in den tiefen Abgrund stürmen werde und schrie:
«Zieht auf, zieht auf, der Strick wird dünne!» — Sie liessen ihn aber noch immer weiter herab, jetzt war er am Bilde, jetzt hätte er's nehmen können, aber da war das Seil dünn geworden wie ein Haar, und er schrie nochmals: «Um Gottes Willen zieht auf, sonst bin ich verloren!» Da zogen die Männer ihn hinauf, und je weiter er aufwärts kam, je dicker und stärker wurde wieder der Strick. Da nahmen die Leute von St. Nikolaus wahr, dass das Bild am Felsen, und nicht in einer Kapelle stehen wolle, wie jenes auf dem Milzberg in Franken, das auch nicht in einer Kapelle blieb, sondern auf einem Felsblock, am Wallfahrtswege seinen Stand behauptete.
Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch