Der Totengang von Bellwald

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Es starb vor mehreren Jahren in Bellwald ein Mann, mit Namen Johann Jos. Volken, welcher seinem Tochtermann Fabian Ritz vier Mal erschien. Das erste Mal sah er ihn in der Voralpe, die Weiden hinauf gehen; das zweite Mal bei der Hofstatt in der Scheune auf dem Strohbank sitzen, als ob er das Vieh verpflegen wollte; konnte ihn aber aus Furcht nicht ansprechen, obgleich es schon heller Tag war. Einmal aber, am Hl. Abende, sagte er zu seiner Frau «ich will jetzt schlafen; wenn du wachest, so wecke mich um elf Uhr, damit ich zu der Mühle gehen kann, (welche eine Viertelstunde vom Dorfe entfernt war; man nannte das Ort "am Ried") um zu sehen, ob die Mühle gut laufe und um mehr Getreide aufzulegen.» Als er nun um elf Uhr erwachte, stand er auf, nahm die Fackel und ging der Mühle zu. Nahe an die Mühle herankommend hörte er das Klappern der Mühle nicht mehr, ging darum schneller und schaute, als er eingetreten, vor allem in den Mehlkasten. Da er sich aber umwandte, stand sein Schwärvater abermals hinter ihm, in Begleitschaft von zwei Mitgefährten, nämlich einem weiss gekleideten Jünglinge und einer schwarzen Gestalt, welche den Toten mit eisernen Ketten, um den Leib geheftet, festhielt. Aus Furcht rief der Müller: «Um Gotteswillen, was fehlt euch?» «Mir fehlen drei Dinge; ich habe in Grun ein Lagel Wein gekauft und dasselbe nicht bezahlt; einen Federtaler der Kirche, welchen ich eingezogen habe, ohne dass es sonst jemand wusste, habe ich behalten und glaubte damit mein Gewissen nicht zu belasten; dann ein Gang nach Einsiedeln. Dieses sollst Du für mich gut machen und entrichten. Der Müller sagte: «Den Federtaler will ich erstatten und das Lagel Wein wollte ich auch gerne bezahlen, weiss aber nicht wem, doch nach Einsiedeln mag ich nicht gehen, denn ich bin zu alt, aber Jemand bezahlen und für euch schicken will ich.» Der Tote antwortete: «Derjenige, von dem ich den Wein gekauft habe, ist tot, aber seine Söhne leben noch und diesen kannst du das Geld geben; aber nach Einsiedeln musst du selbst gehen, ich will dir schon helfen, dass du gehen kannst.» Als er ihm versprach, alle drei Dinge zu erfüllen, liess sein Begleiter die Ketten fallen und fuhr mit Entsetzen den Berg hinunter; der Tote sprach noch zu ihm: «Nun bin ich erlöst, leb wohl! in kurzer Zeit sehen wir uns abermals» und verschwand.

Im gleichen Jahre, in der Fasten-Temperwoche, ging derselbe einmal nach «Nesselschluchten», des Abends das Vieh zu füttern. Da er etwas spät noch beim Stalle war, läutete es im Steinhaus den Englischen Gruss; er betete noch beim Stalle und ging nach Hause. Nach einer Weile sah er eine schöne Helle, die wie die klare Sonne schimmerte, und es begegnete ihm die Toten-Prozession. Der Erste trug ein weisses Kreuz, welches diesen Glanz verbreitete; nach diesem kamen zwei und zwei zur Seite und die Prozession dauerte ungefähr eine Viertelstunde. Ziemlich am Ende kam sein Schwärvater. Der Müller sagte zu ihm: «Wie? ihr kommet noch da? Ich glaubte, ihr seiet schon erlöst.» Der Tote aber antwortete: «Ich bin erlöst, muss aber noch wandern, habe weder Freud noch Leid, doch ist mir die himmlische Freude noch nicht gegönnt; aber bald werde ich dieselbe auch geniessen.» Dann sagte er ihm noch: «Du wirst hier noch mehrere kommen sehen, die du gekannt hast, und auch du wirst, bevor einige Jahre vorbei sind, diesen Weg wandeln.» Und so geschah es; der Müller erkannte von der Totenprozession noch einige, die kurz zuvor in Bellwald gestorben waren, und er starb bald nachher. Der Totengang soll in vier Teile geteilt gewesen sein und bei jeder Abteilung war ein Priester im Chorröcklein, mit Biret und Heiltumarm. Dieses ist mir erzählt worden von Joh Jos. Kräig, von einer Neptissin des gesagten Fabian Ritz und einem Jünglinge aus Bellwald.

(erzählt von Moriz Walther, Lehrer)

 

Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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