In den Kalten-Wässern ob der Simplonstrasse, wo jetzt ein Gletscherreich ist, soll vor vielen Jahren aus einem Felsen eine Goldader geflossen sein. Ein Weib, das für eine Wahrsagerin galt, soll ihn, den Goldbrunnen, in einem Bergspiegel, der die verborgenen Schätze aufdeckte, deutlich gesehen haben. Einige arme Männer machten sich in aller Stille auf, um diese Goldquelle zu entdecken. Sie nahmen eine Wünschelrute mit sich, welche ihnen den Ort anzeigen sollte. Lange irrten sie auf dem Gletscher herum, indem ihnen die Rute bald hier, bald dorthin zeigte. Endlich kamen sie an einen Ort, wo die Rute sich rundumdrehte. Hier muss es sein, sagten sie zueinander, wo der Goldbrunnen sich befindet. Sogleich fingen sie an einem Felsen mit ihren Sprengbohr-Instrumenten zu arbeiten an. Da hörten sie auf einmal ein so schreckliches Getöse, als wenn ganze Felsen auf sie gewälzt würden. Die Arbeiter ergriff eine solche Furcht, dass sie ihre Instrumente, samt der Wünschelrute im Stich liessen und eiligst die Flucht ergriffen. Später fragten sie wieder die Wahrsagerin, wo denn doch dieser Schatz wäre, ob man ihn nicht entdecken könnte. Sie wollten das Weib nur versuchen und ihr verschweigen, dass sie ohne Erfolg schon dort gewesen wären.
«Wie», sagte sie, indem sie wieder in den Bergspiegel schaute, «ihr seid ja schon da gewesen; ich sehe ja eure Instrumente, die ihr gebraucht habet; ihr seid gerade über dem Schatz gewesen. Die Goldquelle tröpfelt in einen Hafen und der Hafen ist bald voll. Aber zwischen euren Instrumenten und dem Schatze sitzt ein graues Männlein, welches den Hafen 'verwachet'.»
Oft gingen noch später diese Männer dahin, um die Wünschelrute und Instrumente aufzusuchen, aber nie konnten sie dieselbe mehr entdecken; denn alles war durch den Gletscher verändert worden.
Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch