Zwischen Netstal und Glarus, etwas abseits in den Wiesen, steht ein kleines, steilgiebliges Haus. Es wird heute kaum mehr beachtet. Vor ein paar Jahrzehnten aber, als noch die alte Landstrasse ihre wunderlichen Ränke von Stall zu Stall zog und nahe am einsamen Haus vorbeiführte, stand mancher Wanderer still, um die Inschrift der heute noch vorhandenen Gedenktafel zu lesen. Da vernahm er mit Staunen, dass dieses Häuschen einmal im Mittelpunkt des Weltgeschehens stand, nämlich im lauten Kriegsjahr 1799, als die Russen und Franzosen einander die Alpenpässe streitig machten. Hier weilte der berühmte Generalfeldmarschall Graf Alexander Suworow, Fürst Italisky, drei Tage lang. Er hatte sich mit seinen 20 000 Soldaten in mühsamen Kämpfen über den Gotthard, den Kinzig und den Pragelpass geschlagen und gehofft, über den Kerenzerberg aus diesem Tälergewirr zu entkommen. «Da kamen denn alle russischen Heerführer, darunter auch der Zarensohn Konstantin, am 2. Weinmonat in diesem Häuslein zusammen und werweissten, ob man die Franzosen bei Mollis noch einmal angreifen oder lieber auf leisen Sohlen das Sacktal von Glarus verlassen wolle. Wenn’s auf den alten Suworow draufangekommen wäre, so hätte man die Franken noch einmal angepackt, aber dem Zarensohn war die Schiesserei verleidet, und so mussten ihm die hohen Offiziere und alle 20 000 Russen gehorchen und über den tief verschneiten Panixerpass waten.» So berichtete unser Nachbar, der alte Bäcker Fridli, jeweils, schob die Pfeife in den andern Mundwinkel und fuhr fort: «Aber jedes Jahr, in einer sternenlautern Oktobernacht, wenn's von den Türmen der Glarner Kirche Mitternacht schlägt, öffnet sich die Türe des Suworowhäusleins. Da kommen sie heraus, die alten Marschälle und Generale Suworows und reiten mit ihrem silberlockigen Feldherrn siebenmal ums Haus herum, dass die Funken unter den Hufen stieben und Säbel und Orden im Mondschein glitzern. Doch auf einmal ist der ganze Spuk verschwunden, und nur von weither hört man den verhallenden Ruf ,Suworow’. Dann füllt die Stille wieder den Raum zwischen den Firnen.»
Quelle: K. Freuler, H. Thürer, Glarner Sagen, Glarus 1953
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch