Ist es nicht seltsam, dass man in Engi kein Gotteshaus sieht, wohl aber zu Matt und Elm, obschon diese beiden Dörfer viel kleiner sind? Nun wäre es freilich falsch, daraus zu schliessen, dass die Engeler etwa weniger fromm oder gar keine Christen wären. Im Gegenteil, sie wollten vor vielen Jahren eine eigene Kirche bauen. Gewissenhaft trugen sie jeden entbehrlichen Blutzger zum Tagwenvogt, bis dieser die Geldkiste mit all den Schärflein nicht mehr vom Fleck brachte und darum den Baufonds für gross genug erachtete. Inzwischen hatten sich die Bürger nach langem Hin- und Herreden auch auf einen günstigen Bauplatz geeinigt. Die Kirche sollte zwischen die Speichen- und Fritternrunse zu stehen kommen. Schliesslich fand der Tagwensbaumeister in einem alten Kalender die Abbildung einer stattlichen Kirche, die er den Leuten zeigte und so gut erklärte, dass sie einhellig beschlossen: «Eine solche wollen wir auch.» Schon am andern Tag hoben die Männer die Baugrube aus, um das Fundament zu legen, denn eine Kirche darf man ebenso wenig auf Sand bauen wie ein gewöhnliches Haus. Jeden Abend kamen die Frauen, Töchter und Kinder auf den Bauplatz, zu sehen, wie weit die Arbeit der Männer vorgerückt sei, und ehe der Mond wieder zu wachsen begann, ragten die Kirchenmauern gute drei Schuh hoch über den Boden hinaus. Bereits beratschlagten die Engeler, welche Art Pfarrer wohl am besten zum neuen Gotteshaus passen würde, ein rundlicher oder ein «Sprenzel» – da waren eines Morgens die Mauern verschwunden, jawohl, bodeneben abgetragen. Es guckte auch kein Stein mehr aus dem Rasen hervor und lag auch nicht einer mehr herum. «Wele Lappi …?» Aber niemand wusste Bescheid, und die Männer von Engi begannen mit wahrhaft gläubiger Geduld zum andern Mal. Genau drei Schuh hoch standen die neuen Mauern, als sie abermals verschwanden, wie wenn man sie weggeblasen hätte. Wer will es den guten Leuten verargen, dass sie vor Zorn glühten und nur mit Mühe vom Tagwenvogt für einen dritten «Anlauf» zu gewinnen waren? Da sie nun schon gute Übung im Steinebrechen, Mauern und Pflastern besassen, lief ihnen die Arbeit leicht von der Hand, so dass die Mauern rasch emporwuchsen. Doch auch diesmal war aller Fleiss umsonst. Kaum hatten sie die Höhe von drei Schuhen erreicht, so ward das Werk auf rätselhafte Weise abgebrochen und weggetragen. Da merkte selbst der Tagwenvogt, dass hier etwas Unlauteres dahintersteckte, und so unterliess man den Kirchenbau für alle Zeiten. Die Engeler beschuldigten niemand, auch dann nicht, als sie zu Matt hinter manchen Häusern grosse, frisch aufgeschichtete Steinhaufen bemerkten, und ihnen die Matter auf die Frage nach der Herkunft der Steine schnippisch antworteten: «Das gaht der Muu e Cheib a, as gaht’s.»
Quelle: K. Freuler, H. Thürer, Glarner Sagen, Glarus 1953
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch