Einer Bauersfrau war vor Jahren ein graues Vögelein in die Kammer geraten, das konnte wohl schön pfeifen und singen, aber kaum mehr fliegen. Das war ihre Freude geworden Tag und Nacht, und wie sie krank auf dem Lager lag und wusste, dass sie nicht mehr aufstehen werde, bat sie den Bauern, er möge um Gottes willen zu jeder Stunde auf das Vögelein aufpassen, dass ihm niemand etwas zuleide tue. Und als er ihr’s versprochen hatte, starb die Frau und ward nach Brauch und Recht begraben.
Der Mann aber nahm nach geraumer Zeit ein junges Weib, das hielt ihm Haus und Hof in Ordnung und fand daran mehr Gefallen, als an ihrem eigenen Mann. Wenn er ins Holz ging oder ins Wildheu, so sah man des Öftern einen jungen Krämer aus dem Tal in weitem Bogen um das Haus schleichen, als ob er etwas verkaufen wollte; doch kam er nicht wieder heraus, bevor die Sonne unterging.
Einmal nun kam der Bauer früher aus dem Holz als sonst, da verbarg das Weib den Krämer in der Nebenstube und schloss die Tür ab. Sie hatte aber nicht geachtet, dass der Vogel mit hineingeflogen war.
Kam nun der Bauer und begehrte sein Essen und legte sich derweil aufs Ruhbett. Indes das Weib sein Habermus aufs Feuer stellte, fing in der Nebenstube der Vogel an zu singen und sang und sang als ob er toll wäre. «Was hat er nur?», dachte der Bauer und wollte nachsehen, fand aber die Tür verschlossen, und das deuchte ihn merkwürdig, doch sagte er nichts. Als er den ersten Löffel schöpfen wollte, hub der Vogel wieder zu singen an, und als der Bauer aufstand, sah er, dass sein Weib feuerrot geworden war. Und so sang der Vogel noch ein drittes Mal, und dann schwieg er auf einmal. Da stand der Bauer auf und sagte: «Da ist etwas nicht geheuer!» – «So hol ihn doch, den Vogel, wenn dich der Teufel plagt!», schrie das Weib und warf ihm den Schlüssel auf den Tisch, und also ging der Bauer in die Nebenstube, kam aber nimmermehr lebendig heraus.
Das Weib aber und den Krämer hat kein Mensch mehr gesehen. Im Frühjahr flogen in weitem Bogen zwei Vögel um das Haus und liefen an seinen Mauern auf und ab, als ob sie Einlass begehrten. Der eine war grau, der andere trug blutigrote Flecken an seinen Flügeln, und das war niemand anders als das treulose Weib und sein Buhle.
Quelle: K. Freuler, H. Thürer, Glarner Sagen, Glarus 1953
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch