Das Klösterlein zu Engi

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Auf dem Chohlbödeli zwischen Matt und Engi stand vor altem ein kleines Kloster, das wohl heute noch zu sehen wäre, wenn es nicht von der Runse verschüttet worden wäre. Und die Nonnen? Unter Schutt und Blöcken kamen sie elendiglich ums Leben. Doch niemand habe ihnen auch nur eine einzige Träne nachgeweint. Alle Leute erblickten in dem grässlichen Schicksal die verdiente Strafe des Himmels, denn jene Nonnen hatten sich gar schändlich aufgeführt, hatten in Saus und Braus gelebt, die tätige Menschenliebe aber ganz vergessen. So trieben sie es bis zu jener Heiligen Nacht, die für sie zur letzten werden sollte.

Es schneite in Fetzen, und ein Sturm, wie ihn selbst die ältesten der Alten noch nie erlebt hatten, fegte den Schnee über Dächer und Felder, und man hätte keinen Hund in das Unwetter hinausgejagt, da kämpfte sich ein altes Weiblein durch die «Wächten» dem Klösterlein zu. Der Hunger brannte ihm im Magen, und die bittere Kälte schloff ihm durch die Lumpen bis auf die welke Haut. Mit Mühe und Not erreichte es die Klosterpforte, wo es sorglich den Schnee aus dem Gewand bürstete, bevor es nach dem Glockenzug griff. «Gott sei Lob und Dank», hüstelte es vor sich hin, als es hörte, wie drinnen die Nonnen beim Gelage johlten und vor Übermut die Weingläser zerschlugen. «Wenn’s denen so gut geht, wird auch für mich etwas abfallen!» Aber das gute Weiblein musste ein paarmal läuten, bis die gottlose Gesellschaft es vernommen hatte. Endlich hastete jemand herbei – die Türe ward aufgerissen und im Scheine der hochgehaltenen Laterne erblickte die Alte ein gehässiges Gesicht. «Was wollt ihr?» keifte das fromme Jümpferchen. «Ich bin ein armes Fraueli und wohne weit oben in den Bergen und kann bei diesem tiefen Schnee heute nicht mehr hinauf. Seid doch so gut und lasst mich um Gottes willen unter Dach und gebt mir…» – «Mach, dass du fortkommst, du alte Gurre, wir haben keine "Wirtschaft". Und überhaupt ist heute Heiliger Abend, da lassen wir solches Hudelvolk erst recht nicht ein!» Damit knallte die Türe zu.

Unser Mütterchen stand zunächst starr wie eine Bildsäule und brachte kein Wort hervor. Dann aber loderte ihm der Zorn aus den Augen. Es faustete zu den hell erleuchteten Fenstern hinauf: «So hol Euch der Teufel samt Eurer Sündenhöhle!» Dann machte es sich trotz Sturm und Schnee auf den Heimweg. Bei der nahen Runse schon sank es erschöpft hin. Es stand nicht mehr auf. Der Schnee breitete ein weisses Leichentuch über die Entschlafene aus, und erst im Frühling fanden sie dort die Vorderbächler Knaben. Bei der Talkirche von Matt wurde die Alte ehrlich bestattet. Ihr Grab war noch keine drei Tage alt, so fuhr die Runse herab und deckte das Klösterlein zu.

Man wüsste wohl kaum mehr, wo es gestanden, wenn es einem die Nonnen nicht selbst zeigen würden. Alljährlich in der Heiligen Nacht müssen sie auf dem Chohlbödeli wie rasend tanzen, bis es an der Matter Kirche eins schlägt und die Geisterstunde vorüber ist.

 

Quelle: K. Freuler, H. Thürer, Glarner Sagen, Glarus 1953
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch

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