Im Hinterland liegt eine Alp, die heisst Ennetseeben, und auf der Alp hat vor Zeiten ein junges Bürschchen als Zusenn gewerkt, hiess Peter und kam aus dem Sanktgallischen. Als er aus dem Tal heraufgestiegen war, sah er aus wie ein Baum, gross und stark; aber kaum war er ein paar Wochen in der Höhe, so ging er ab wie ein Kirchenlicht und wurde von Tag zu Tag magerer und bleicher.
Eines Tages nahm der Senn ihn beiseite und fragte, was los sei mit ihm. Ob ihm die Kost nicht zusage, Brot, Käse, Anken, Milch, oder ob ihm etwa in der Nacht das Schrättli aufhocke oder Toggeli und ihn nicht schlafen lasse? Der Knecht aber schüttelte nur den Kopf und sooft der Senn ihn fragte, suchte er nach einer andern Ausrede. Eines Morgens aber packte er sein Bündelchen und gab dem Senn die Hand. «Meister, Ihr könnt nun denken von mir, was Ihr wollt, ich sei ein schlechter Hund oder so aber ich muss fort. Wenn Ihr wüsstet, was ich weiss, bliebet Ihr auch keine Nacht mehr hier.»
«Jänu», sagte der Senn und sah nebenaus, «anbinden kann ich dich nicht. So geh in Gottes Namen!»
Viele Jahre gingen darüber, und erst als der Senn längst auf einer andern Alp sennete, kam auch der Knecht wieder zu ihm.
Es ergab sich von selber, dass man auf die frühern Tage zu reden kam und da verriet der Knecht dem Senn auch sein Geheimnis, und warum er dazumal fortgegangen sei.
«Ein Steinwurf ob der Hütte steht ein grosser Stein, halb so hoch wie ein Haus, und in seinem Schatten nisteten und plegerten jeden Tag die Schweine und verführten ihren Spektakel. Am Abend aber traute sich auch nicht ein einziges in seine Nähe, und wenn man’s mit Gewalt versuchte, so lief es unter jämmerlichem Geheul wieder davon. Das ist mir schliesslich aufgefallen, und darum hab ich dann in einer mondhellen Nacht einmal aufgepasst, ob mit dem Stein vielleicht etwas Besonderes los sei. Wie ich nun den Kopf aus dem Fensterchen gestreckt habe, da ist einer zum Stein hingesprungen, der sah aus wie ein Senn, aber er brannte lichterloh, und das gällige Feuer schoss ihm aus dem Herzen wie ein Fridlisfeuer. So ist er mitten in zündroten Flammen in einem einzigen Satz auf den Felsen gesprungen, hat mit den Händen um sich geschlagen und ein Mordiogeschrei verführt, aber ich hab keinen Ton gehört. Mit einem Mal war er verschwunden, und nur der Mond hat auf den leeren Stein geschienen.» Und so sei das Nacht für Nacht gegangen, und auf die Dauer könne das kein Christenmensch aushalten.
Der Senn hatte ihm schweigend zugehört. Nach einer Weile legte er dem Knecht die Hand auf die Achsel: «Peter, ich hab’s schon lang gewusst, dass du wegen dem Mann fortgegangen bist, und ich hab dir’s nicht nachtragen können.» Und dann erzählte er ihm den Handel. «Dass der Stein der ,Gitzistein’ heisst, ist bekannt; aber warum er zu diesem Namen gekommen ist, weiss nicht jeder, weil’s schon lange her ist. Damals hat ein Senn auf Ennetseeben gelebt, war ein wüster Dingeler, ja ein rechter Unflat war er, der mit dem Vieh gottserbärmlich umging und mit den Menschen nicht viel besser. Einmal nun ist ihm ein schneeweisses Gitzeli auf das Hüttendach geklettert, wie’s der Gitzeli Brauch ist, überall umherzustegern, wo sie nichts verloren haben. Erst versuchte er, das Tierchen mit Flüchen zu vertreiben, dann warf er mit Steinen nach ihm, und als alles nichts nützte, stieg er selber auf das Dach und riss das Tierchen in heller Wut an den Ohren über die Steinplatten hinunter. Trug es auch in die Hütte und überstrich es ringsherum mit Tannenharz. Dann hielt er es über das Feuerloch, bis es zu flackern anfing, und wie es dann von oben bis unten in Flammen war, hat er’s zur Tür hinausgejagt: ,Gang i d Hell, Cheib!’ Das Gitzeli ist noch in Rauch und Flammen auf den Stein geklettert und dort elendiglich am lebenden Leib verbrannt.
Nicht lange hernach ist der Senn verschwunden, und kein Mensch wusste wohin. Nacht für Nacht aber rennt einer in Feuer und Flamme von der Hütte auf den Stein und schreit um Hilfe und kann nicht verbrennen. Aber niemand hat Erbarmen mit ihm.»
Quelle: K. Freuler, H. Thürer, Glarner Sagen, Glarus 1953
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch