Leute, die mehr können als Brot essen, gab es zu allen Zeiten und überall, und so einer war der Hexenmeister von Linthal, er trieb sein unleidliches Handwerk an Menschen und Vieh so lange, bis keiner mehr mit ihm etwas zu tun haben wollte. Bald verdarb seines Nachbars schönste Kuh im Stall, bald verschwanden Schafe und Ziegen auf allerlei unbekannte Art, oder alle Brunnen versiegten mit einem Mal, sobald der Hexenmeister an einem getrunken hatte. Jeder Hund zog den Schwanz ein, wenn er ihm über den Weg lief. Die jungen Frauen aber machten einen grossen Bogen um ihn, denn sie fürchteten, er könnte ihren Kindern etwas zuleide tun oder anwünschen, dass sie Rufen oder Warzen bekämen oder gar das «Fallende Weh» und die Sucht.
Einsam und elend starb er, und vier Totengräber trugen ihn zu Grab; kein Mensch aber folgte ihnen, nur hinter Mauern und Hecken versteckt, schauten sie von ferne zu. Nach und nach aber schien der Totenbaum den Trägern immer schwerer zu werden, so dass sie ihn kaum mehr zu tragen vermochten, und wie sie ihn endlich müde und schwitzend an der Kirchhofmauer abstellten und etwas verschnaufen wollten, da rief eine Stimme aus dem Sarg: «Heider’s schwer?» Im gleichen Atemzug aber sah man des Hexenmeisters Gestalt hoch im Glockenstuhl des Turmes verschwinden. Der Totenbaum aber war mit einem Mal leicht und leer, und die vier liessen ihn mit Grausen in die Erde fallen. Oft genug noch soll der Unheimliche aus den blinden Fenstern seiner zerfallenden Hütte geschaut und mit den Fäusten gedroht haben, bis in einer Sturmnacht der ganze Spuk zu Glut und Asche verbrannte und vom Hexenmeister keine Spur mehr übrigblieb.
Quelle: K. Freuler, H. Thürer, Glarner Sagen, Glarus 1953
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch