Wer zu später Stunde, zwischen Mitternacht und ein Uhr, von Hätzingen nach Diesbach wandert, dem kann es passieren, dass er auf einmal stillstehen muss – denn da hört er von der Rufiruns her ein gar grässliches Klirren und Kesseln, als ob einer schwere eiserne Ketten durch das trockene Steinbett zöge. Mehr als einer hat anderntags erzählt, er hätte zu seinem Erstaunen dann einen Hund gesehen, der denn auch eine lange eiserne Kette hinter sich hergezogen habe. Wenn er auch feurige Augen im Kopf gehabt habe und die flammende Zunge ihm weit aus dem Rachen gehangen habe, so hätte er doch weiter nichts Böses angestellt. Dass man so ein wenig erschrecke, das sei ja selbstverständlich.
Was es mit dem Hund für eine Bewandtnis hat, weiss niemand genau zu sagen. Sicher aber wird er für irgendeine Schandtat, die er im Leben begangen hat, zu büssen haben. Die Alten erzählen sich unter der Hand, dass er vielleicht einmal vor altem jener Vogt gewesen sei, der auf dem Bürgli gehaust habe und mit den Leuten in den Dörfern gar schandbar umgegangen sei. Am zehnten Teil, so wie er ihm aus jeder Erbschaft rechtsmässig zugefallen sei, hätte er nie genug gehabt, sondern immer noch ein Schaf, ein Böcklein oder ein Kalb mehr verlangt, und vom Heu und von Korn und Gerste nicht weniger. Sei aber ein armer Bauer zu ihm gekommen, um sein Leid zu klagen und ihm zu sagen, in was für Nöten und Sorgen er leben müsste, so sei ihm der Vogt grob übers Maul gefahren, und keiner, der so bei ihm vorgesprochen, hätte je einmal Hilfe erhalten. Seien aber gar Bettler gekommen, so habe er lachend seinen grossen schwarzen Hund von der Kette gelassen und sich so recht von Herzen gefreut, wenn die armen Leute den Büchel hinuntergerannt seien und der Hund hinter ihnen her.
Dann aber habe man ihn für Wochen lang nirgends mehr gesehen, nicht auf dem Bürgli und nicht im Dorf. An einer grausamen Krankheit sei er in guten Jahren zugrunde gegangen, kein Mensch hätte seinen Totenbaum zur Kirche begleitet, und der Sigrist habe ihm nicht geläutet. Seit jener Zeit aber finde der Vogt auch im Grabe keine Ruhe und sei verdammt dazu, als «Rufelihund» die Ketten durch die Runs zu ziehen, bis zu jenen fernen Tagen, wo der Herrgott vielleicht ein Einsehen habe und ihm zu einem stilleren Plätzchen verhelfe.
Quelle: K. Freuler, H. Thürer, Glarner Sagen, Glarus 1953
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch