Wenn ein vermöglicher Mann kinderlos stirbt, so lachen die Erben. Aber die beiden Vettern, denen 1313 die Güter des alten Hans von Seedorf zufielen, wurden darob zu grimmigen Feinden, der eine hiess Rudolf Tschudi und war ein Glarner, der andere hiess nach seinem verstorbenen Onkel Hans von Seedorf und hauste im Urnerland. Beide waren Bauern, und darum war es begreiflich, dass jeder die fetten Alpweiden auf dem Urnerboden erben wollte. Zuerst versuchten sie in Frieden die Alp zu teilen, konnten sich aber nicht einigen, beschimpften einander was das Zeug hielt, und liefen schliesslich unverrichteter Dinge heim.
Im Frühling trieb der Tschudi seine Viehhabe auf den Urnerboden, richtete sich in der Hütte ein und tat, als ob die Alp ihm gehöre. Doch kaum war er wieder zu Tal gewandert und hatte die Knechte allein gelassen, so fielen des Vetters Leute über die Glarner Älpler her und jagten sie samt dem Vieh an die Linth hinunter. Wie das der Tschudi vernahm, rief er seinerseits alle Freunde und Nachbarn zusammen, mit denen er auch glücklich die Alp zurückeroberte. Nun schädigten die beiden habsüchtigen Vettern einander, wo und wie sie konnten, zündeten Häuser und Gäden an, raubten und plünderten. Da der Tschudi dabei mehr gewann, nannten ihn die Urner nur den langen Riebing oder Räuber, während die Glarner ihren Hauptfeind den Teufel von Uri hiessen, weil er mehr Freveltaten auf dem Gewissen hatte.
Einmal, als die Glarner eben wieder die Alp besetzt hatten und glaubten, für einige Zeit Ruhe zu haben, wurden sie unversehens von den Urnern angegriffen und hätten bestimmt fliehen müssen, wenn diesmal der Tschudi nicht selbst dabei gewesen wäre. Der kämpfte wie ein Löwe. Schon hatte er eine Anzahl Feinde in die andere Welt befördert, als ihm die Waffe zerbrach. Wie dies die Urner bemerkten, drangen sie von allen Seiten auf ihn ein. Da ergriff Tschudi, der ein bärenstarker Mann war, eine Tanne riss sie samt den Wurzeln aus und fuhr damit auf die Gegner los, als müsse er einen Stall wischen. Mit ein paar mächtigen Streichen tötete er neun Urner. Die übrigen nahmen, von Schrecken gepackt, Reissaus.
Nach diesem Kampf hatten beide Parteien genug vom Streit und liessen sich von vernünftigen Vermittlern aussöhnen, worauf das Erbe friedlich verteilt werden konnte. Zum Andenken an den langen Riebing und seine Heldentat setzten die Tschudi in ihr Wappen einen Tannenbaum mit neun roten Zapfen.
Quelle: K. Freuler, H. Thürer, Glarner Sagen, Glarus 1953
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch