Im Dörfchen Schwändi – es kann aber auch anderswo gewesen sein – lebte vor Zeiten ein alter Bauer. Wie er geheissen hat, weiss heutzutage niemand mehr; dass er aber seiner Lebtag ein gar schaffiger Mann war und zu jeder Zeit in Feld und Wald an der Arbeit, das wissen alle noch, die die Geschichte vom Hummel kennen. Er hatte sich in seinen alten Tagen noch eine Frau genommen, die war jung und hübsch und hatte starke Arme. Wenn sie so mit dem Alten um die Wette draussen die Wiese mähte und durch die Gasse fuhrwerkte oder mit grossen Burdenen aus dem Wald kam, da schauten ihr die Dörfler wohlgefällig nach und meinten: «Er hat’s noch gut getroffen! Es könnte leicht schlimmer sein! Das Fraueli ist schon recht!» – Und das dachte der Bauer auch, und so lebten sie in ihrem Häuschen, das abseits des Dorfes im Grünen lag, still und friedlich zusammen.
Nur eines fand der AIte merkwürdig an seiner Frau. Nämlich, dass sie nie bei geschlossenem Fenster schlafen wollte. Im Sommer war er schliesslich damit einverstanden, obschon er die Nachtluft nicht mochte und wenig darauf gab, dass ihm Mond und Sterne in die Kammer schienen. Kamen aber die kühlen Tage und die dunklern Nächte, dann hätte der Alte es lieber gesehen, wenn der Fensterflügel verriegelt worden wäre. Frug er die Frau nach dem Grunde ihres seltsamen Verlangens, so zuckte sie lächelnd die Achseln: «Ich bin s nun einmal so gewohnt und nicht anders, und wenn du mich gern hast, so tust du mir das schon zuliebe, gelt?» – Da sie steif und fest auf ihrem Willen beharrte und im übrigen ein gutes Weib war und seinen kleinen Haushalt beisammenhielt, so liess er sie gewähren und sagte auch nichts weiter, wenn er ab und zu an die Zehen fror.
Einmal, als er mit seinem Nachbar spät abends vom Markt heimkehrte und sie auf das Häuschen zukamen, so zeigte der andere auf den offenen Fensterflügel und fragte: «Warum bleibt bei euch das Schlafgadenfenster jahraus, jahrein immer offen?»
«Nun, weil’s die Lisabeth so haben will!»
«Soso – die Lisabeth will’s so haben? Merkwürdig! Ich möcht nicht immer Nachtluft einschnaufen – und übrigens, hast du nie bedacht, dass die Nachthummeln ein- und ausfliegen könnten?»
«Die Hummeln? Wieso gerade die Hummeln? Was sollte so ein Hummel in meinem Schlafgaden zu tun haben, Nachbar?»
Als er ihn aber weiter ausfragen wollte und allerlei werweisste, so gab der andere keine Antwort mehr und ging ohne ein Wort zu sagen in die Nacht hinein.
Wie der Herbst kam und der weisse Reif jeden Morgen wie Silber auf den Wiesen lag, und der Tag kühl blieb bis wieder in die Nacht hinein, da ging der Bauer wieder eines Abends ins Bett, und die Lisabeth schloff in ihres, und der Fensterflügel blieb offen. Der Bauer schlief wie immer bald ein und schlief fest und traumlos. Doch da die Nacht kühler war als je zuvor, fing er nach Mitternacht an zu frieren, und wenn er auch die Decke bis ans Kinn hinaufzog, so fror er dennoch weiter und konnte nicht mehr einschlafen. Da stand er leise auf, dass seine Frau ihn nicht hören sollte, tappte auf den Zehen durch die stockdunkle Kammer zum Fenster, schloss es mit dem Riegelchen und kroch frierend wieder ins Bett zurück.
Gegen den Morgen hin, als der Tag bleich und grau durch die Scheiben schien, träumt er, ein grosser Hummel surre um seinen Kopf, und er surrt und surrt, und er erwacht darüber und sieht zu seiner Verwunderung im schwachen Dämmerschein, dass ein Hummel immer und immer wieder aufgeregt an die Fensterscheibe stösst und nicht davon ablässt, als ob er mit des Teufels Gewalt in die Kammer hineinfliegen wollte. «Bleib du nur draussen!» denkt er und schaut eine Weile lang dem Hummel zu, wie das Tierchen in voller Verzweiflung immer aufs neue mit dem Kopf in die Scheibe rennt, bis es schliesslich immer matter wird und verschwindet. Dann dreht sich der Bauer auf die andere Seite und schläft geruhsam bis in den Morgen hinein.
Wie er dann erwacht, denkt er, ich will den Traum der Lisabeth erzählen, und dreht sich zum andern Bett. «Du, Lisabeth», sagt er. Aber sie hört ihn nicht. Und wie er lauter ruft: «Du, Lisabeth!», da sagt sie immer noch kein Wort und liegt still und bleich mit offenem Mund da und hat nie mehr ein Wort gesagt. Denn sie war tot.
Als man sie christlich und in Ehren begraben hat, und der Bauer mit den Dörflern still und müde vom Kirchhof heimkommt, da erzählt er bei den letzten hundert Schritten dem Nachbar die Geschichte mit dem Hummel und wie das Tierchen mit einer Gewalt in das Fenster geschossen sei, als ob Leib und Leben davon abgehangen hätten. Der andere sagt kein Wort. Erst nach einer Weile murmelt er vor sich hin: «Vielleicht war’s auch so -?» Und dann drückt er dem Alten die Hand und geht seines Weges. –
Erst nach Jahr und Tag, als der Bauer schon hoch in die Achtziger geht und die beiden still in der Abendsonne auf dem Bänklein vor dem Haus sitzen, kommen sie noch einmal auf den Hummel zu reden.
«Ich hab dir’s dazumal nicht zuleid tun wollen», sagt der Nachbar. «Aber nun ist’s ja schon lang verjährt. Früher nämlich hat’s geheissen, dass es Frauen gäbe, oder Hexen, oder wie man ihnen sagen will, Frauen also, deren Seele jede Nacht als wilder Hummel aus dem Mund fahre und sich nachts weiss ich wo zwischen Himmel und Erde herumtreiben, aber nicht auf rechten Wegen. Doch in der Morgendämmerung muss der Hummel wieder in den Leib zurück, bevor’s Tag wird, und wenn er das nicht fertigbringt, so bleibt die arme Seele für alle Ewigkeit draussen und ist für immer verloren. Die Hexe aber muss sterben, da hilft kein Kraut und kein Arzt mehr.»
«So wär’ die Lisabeth – eine Hexe gewesen, meinst du?» fragt der Alte und tut, als ob er eine Fliege von der Stirne verscheuchen wollte, aber der Nachbar sieht, dass ihm eine dicke Träne aus den alten, roten Augen rollt.
«Sei dem, wie’s wolle – Gott gebe ihr die ewige Ruhe!»
Quelle: K. Freuler, H. Thürer, Glarner Sagen, Glarus 1953
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch