Ein Toter soll es gewesen sein, der einmal um Mitternacht in der Gegend von Schwanden einen Bauern mitten aus dem schönsten Schlaf weckte. Wie der Bauer, erschreckt und erbost, seinen Kopf zum Kammerfenster hinausstreckte, zu sehen, was da los sei, da rief eine dunkle Stimme:
«Brauchst keine Angst zu haben, Jaaggli! Kennst mich schon noch! Bin ich doch dein alter Nachbar und will gutmachen, was ich vor Jahr und Tag an dir verfehlt habe! Niemand anders als ich hat seinerzeit den Markstein zwischen unsern Gütern versetzt.
Aber heute will ich das Unrecht wieder gutmachen, wenn du mir dazu hilfst!»
Erst glaubte der Bauer, Nachtbuben wollten ihn zum Narren halten, denn der alte Nachbar, dem er zu Lebzeiten die Schandtat zugetraut hatte, lag schon längst auf dem Kirchhof. Doch die Stimme bat und bettelte ohne Unterlass und um aller Barmherzigkeit willen und liess ihm keine Ruhe, und so nimmt er schliesslich eine Schaufel und geht mit dem Unsichtbaren hinaus und hilft graben und heben und versenken und zudecken.
Wie der Bauer am andern Morgen dann erwacht, scheint ihm alles wie ein sonderbarer Traum, und er geht hinaus aufs Feld, und siehe da! Der Markstein steht wieder an seinem alten, richtigen Platz. Und wie er am Friedhof vorüberkommt und über die Mauer schaut, da wachsen auf dem Grab seines alten Nachbarn, wo nie ein Blümlein geblüht hatte, die schönsten Rosen, und kleine Vögel singen auf dem schwarzen Kreuzlein.
Quelle: K. Freuler, H. Thürer, Glarner Sagen, Glarus 1953
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch