Ihrer vier hatten sich auf dem Altdorfer Markt zusammengefunden, zwei Unterschächener, der dicke Baldriger Ratsherr und der Vögeli aus dem Auen, rare Mannen, einer wie der andere. Und wie es eben so kommt, man verspätet sich nicht ungern um ein Ständlein beim Abschiedstrunk, und wie sie zusammen zur Wirtschaft auf die Strasse hinaustreten, da ist’s schon dunkle Nacht, und man sieht kaum drei Schritt vor sich hin. Da meinten die Unterschächener, es möchte gescheiter sein, im Flecken zu übernachten; um so mehr, als man nicht wisse, was einem alles im Schächental oder am Berg warte. In diesen Zeiten, wo Strauchdiebe und Zigeuner hinter allen Börtern hockten und ehrliche Leute um Hab und Gut bringen wollten.
Der Ratsherr war einverstanden mit dem Vorschlag, denn er trug eine dicke Geldkatze um den Bauch gebunden; der Vögeli aber lächelte und war dafür, die Nacht hindurch über den Klausen zu reiten. «Das erste Dutzend übernehm ich allein, und mehr als zwölfe gehen nie zusammen auf Raub aus! Und Ihr, Ratsherr, seid schliesslich auch noch ein Mann, mit dem sich’s nicht spassen lässt, oder?» Der Ratsherr wollte nicht als Hasenfuss gelten und war einverstanden, obschon’s ihm dabei keineswegs wohl zumute war.
So ritten denn die vier über Bürglen hinauf und Schritt um Schritt ins Tal hinein. Wie sie aber durch ein Stück Wald kamen, so spürte der Vögeli, dass sein Rösslein über etwas stolperte, und das war kein Stein, sondern ein Heuseil, das Schelmen über die Strasse gespannt hatten. Alsbald läutete denn auch ein Glöcklein am Hang, und durch den Wald hinunter gelaufen kamen ihrer sechs oder sieben Räuber. Der Vögeli stand bolzengradauf in den Bügeln und schrie auf sie zu: «Vorwärts mit Euch! Hü! Pressiert’s Euch denn gar nicht? Da kommen wir mit Geld und Koffern den Wald hinauf, und Ihr besinnt Euch noch? Worauf wartet Ihr denn noch? Fehlt’s Euch an der Kurasche?»
Der Ratsherr schlotterte an allen Gliedern: «Seid Ihr denn ganz des Teufels, Vögeli?» rief er und wollte dem Pferd die Sporen geben. Aber der Vögeli lächelte: «Nur den Kopf nicht verlieren, Herr Ratsherr. Es wird ihnen schon vergehen!»
In dem Augenblick kamen die Räuber aus dem Wald hervorgeschossen, aber kaum war der erste am Strassenrand, so blieben sie alle plötzlich bockstill stehen, mitten zwischen Brombeeren und Heckenrosengesträuch, und kamen nicht mehr vom Fleck, sondern standen da wie ausgestopft und taten keinen Schritt mehr.
Der Vögeli ritt zu ihnen hin, so nahe, dass er sie mit der Geissel unter der Nase kitzeln konnte: «Das Gümpelen ist Euch, mein ich, schon vergangen, Ihr himmeltraurigen Sürmel, hä? Schaut Euch die Burschen einmal aus der Nähe an, so kennt Ihr vielleicht den einen oder den andern oder auch nicht!» fragte er die Schächentaler.
Nachdem liessen sie die sieben am Waldrand stehen, wie sie standen, und ritten im Galopp weiter und hielten nicht eher an, bevor sie bei dem Spiriger Kilchturm die Rösslein verschnaufen lassen konnten. Da hielt der Vögeli an und fragte den Ratsherrn: «Aber ha! Ihr reitet noch wie ein Junger. Von jetzt an aber wollen wir’s gemütlicher nehmen. Und was soll denn nun mit den sieben Schelmen geschehen?» Die andern aber werweissten hin und her, wie er denn dies Stücklein fertiggebracht habe?
Da lächelte der Vögeli zum dritten Mal und sagte: «Nichts leichter als das, wenn man’s kann! Habt Ihr denn noch nie etwas vom "Bannen" gehört? Wenn ich einen banne, so muss er bockstill stehen, ob er will oder nicht, und kommt nicht mehr vom Fleck, bevor ich ihn freimache. Wenn Ihr meint, so lass ich die sieben bis zum alten Jöristag im Schachen stehen und bis sie brandschwarz werden! Aber vielleicht sind sie aus lauter Hunger und Elend zu diesem Metier getrieben worden?»
Und so liess er sie laufen, und wer heute im Schachen vorüberkommt, findet sie längst nicht mehr.
Quelle: K. Freuler, H. Thürer, Glarner Sagen, Glarus 1953
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch