Vor Zeiten lebte auf einem Schlosse im Walliserland ein mächtiger Herr mit Namen Montacuay. Der hatte unter seinem zahlreichen Gesinde auch einen Knecht, das war aber ein arger Schalk und trieb, statt seinen Dienst gehörig zu verrichten, allerlei Possen und Schelmenstücke. Sein Herr ärgerte sich sehr darüber, mochte ihn aber nicht fortschicken, denn der Michel war ein lustiger Geselle und ein witziger Kopf, der mit seinen munteren Schnurren und losen Reden auch den Verdriesslichsten zum Lachen brachte, und niemand konnte ihm lange im Ernst böse sein. Und wenn er recht arbeitete, leistete er mehr als drei andere zusammen.
Da gab es Krieg, und der Burgherr musste ins Feld ziehen. »Michel«, sagte er, »rüste dich, du sollst mich begleiten. Aber eines sage ich dir, lass mir alle Sprünge und Spässe hübsch bleiben, denn im Kriege gibt's ohnedies der Gaukelei mehr als genug. Versiehst du wieder etwas aus Meisterlosigkeit, dann ist dir der Galgen gewiss. Das lass dir gesagt sein!«
»Schon recht, Herr«, sagte der Michel, »will dran denken, wenn ich's nicht vergesse.«
Aber noch waren sie nicht manche Tagesreise weit gekommen, als der Mutwillen den Michel schon wieder stach, so dass er anhub, Unfug zu machen. Er verübte seine Streiche, gerade als hätte er das Verbot seines Herrn gar nicht gehört. Der Ritter aber ging voller Zorn hin und schrieb eigenhändig an seine Gemahlin einen Brief: »Frau, lass den Michel auf der Stelle hängen!« und versiegelte das Schreiben mit seinem Schwertknauf. Dann beschied er den Michel vor sich; seinen Zorn aber liess er sich nicht anmerken. »Michel«, sagte er, »nimm diesen Brief, reite heim und bring ihn meiner Frau. Sieh aber zu, dass du ihn nicht verlierst.«
»Schon recht, Herr, ich werde den Brief abgeben, wenn ich ihn noch habe«, sagte der Michel und begab sich auf den Weg und ritt Tag und Nacht.
Am Abend des dritten Tages kam er todmüde zu einem Kloster. Der Abt nahm ihn gut auf, weil er des Ritters Bote war und ein gar lustiger Bursche, der allen Leuten gleich das Herz aufschloss, und gab ihm zu essen und zu trinken. Nach dem Essen hiess er ihn ausruhen und schlafen gehen, weil er wohl sah, dass er zum Umfallen müde war. Und so ward dem Michel alsbald seine Lagerstatt angewiesen; er legte sich nieder und schlief auf der Stelle ein. Indes wollte der Abt sehen, wie sein Gast gebettet sei, und er erblickte die Brieftasche. Da nahm er einfach den Brief heraus und las die Aufschrift und sah, dass er mit des Ritters Insiegel versiegelt war und an die Frau des Ritters gerichtet war. Nun war der Abt ein neugieriger Herr, der seine Nase gern in alle Sachen steckte; und er begann, bei sich nachzudenken, ob er den Brief aufbrechen und sehen solle, was darin geschrieben stand. Kurz und gut, er nahm das Siegel ab, las darin und fand, dass der Überbringer gehenkt werden sollte. Darüber betrübte er sich sehr, denn er hatte ein gutes Herz und meinte es gut mit allen Leuten. Dass der Bursche gar seines eigenen Todes Bote sein sollte, das weckte seinen Zorn und sein Mitleid. Er dachte bei sich, was das für eine Sünde wäre, dass man einen so kecken Knecht in einen so schmählichen Tod sende. Aber nichts in der Welt geschieht ohne Gottes Willen: Der Abt schrieb unverweilt einen anderen Brief.
»Frau, gib dem Michel ohne Verzug unsere Tochter zur Frau!«
Dann hing er dem Schreiben das nämliche Siegel wieder an, so dass man es nicht merken konnte, dass das Siegel erbrochen gewesen, und steckte ihn wieder in die Brieftasche. Am anderen Morgen früh bei Tag weckte er den Michel, segnete ihn und gab ihm Urlaub. Und der ritt seines Weges weiter.
Als der Michel im Schloss ankam, grüsste er seine Herrin von ihrem Gemahl und übergab ihr den Brief. Aber als die Frau gelesen hatte, was darin stand, schloss sie den Michel in ihre Arme und küsste ihn und sprach:
»Sei mir von Herzen willkommen, lieber Sohn, sintemalen es meines Herren Willen ist.« Und dann wurde Hochzeit gehalten.
»Ei, ei«, sprach der Michel zu sich selber, »die Welt kann der Schreiber und Schälke nicht entbehren, und wenn der Schreiber nichts taugt, gibt er der Feder die Schuld. Aber ein guter Schreiber ist aller Ehren wert.« Als der Krieg zu Ende war, kehrte der Ritter Montacuay mit seinen Mannen nach Hause zurück. Was der für Augen machte, als er den losen Knecht am Leben fand und dazu noch als Schwiegersohn, könnt ihr euch denken. Und als ihm die Frau erschrocken den Brief vorlegte, da wusste er eine Weile nicht, was er sagen sollte. Dann aber schlug der Wetterstrahl auf den Michel herab: »Pack dich auf der Stelle fort, du Erzschelm, und fahr geradewegs zur Hölle und hol mir meinetwegen drei Haare aus des Teufels Bart!«
»Wie Ihr meint und wollt, Herr«, sagte der Michel, »wenn Ihr mich nicht länger zum Tochtermann haben wollt, so seid Ihr mein Schwiegervater gewesen. Gehabt Euch wohl, und nichts für ungut!« Er packte alsbald sein Bündel und sagte seiner Frau, die gar betrübt und traurig war, Lebewohl.
»Weine nicht, Käterli, ich komme bald wieder«, sagte er. »und dann bleibe ich für immer bei dir!« Dann nahm er den Weg unter die Füsse.
Nachdem er einige Zeit gegangen war, kam er an einem Schlosse vorbei. Da rief eine Stimme zum Fenster heraus: »He, du, wohin geht die Reise?« »In die Hölle zum Teufel!«
»So sei doch so gut und richte mir einen Auftrag aus!« »Ja, warum auch nicht? Das geht in einem zu. Was wäre es denn?«
»Oh, ich habe einen Garten, der könnte der schönste sein auf der ganzen Welt, aber die Quelle ist versiegt, die früher in der Mitte floss, und gibt kein Wasser mehr, so dass Blumen und Bäume verdursten und verdorren und alles zur Wüste wird.«
»Soll geschehen!« rief der Michel und wanderte weiter. Und unlang kam er durch ein Städtlein, aus einem Hause rief eine Frau ihn an:
»He du, wohin geht die Reise?« »In die Hölle zum Teufel!«
»So sei doch so gut und richte mir einen Auftrag aus!« »Ja, warum auch nicht, es ist ein Tun. Was wäre es denn?« »Seit sieben Jahre liegt meine Tochter krank im Bett und kann nicht leben und nicht sterben, und kein Doktor kann ihr helfen. Frag doch, was zu tun sei, damit sie wieder gesund werde.«
»Soll geschehen«, rief der Michel und ging seiner Strasse zu. Endlich kam er vors Höllentor. Da stand ein Mann davor und hielt Wache. »He du, wohin geht die Reise?« »In die Hölle zum Teufel.«
»So sei doch so gut und richte mir einen Auftrag aus. Seit sieben Jahren stehe ich schon hier und halte Wache und werde nie abgelöst. Frag doch, was ich tun soll, damit ich endlich abgelöst werde!«
»Soll geschehen!« rief der Michel und schritt durchs Tor in die Hölle hinunter.
Aber wie er zur Behausung des Teufels kam, da war er just ausgegangen, um einen Höllenbraten heimzuholen, aber die Frau war zu Hause. Und das war Michels Glück, denn die Weiber machen sich gern meisterlos und stechen mit Kunkeln und Gabeln nach der Herrschaft. Mit einem schlauen Weibe fängt man den Teufel im freien Feld, denn Weiberlist geht über alle List, dachte der Michel, zog höflichst den Hut, verbeugte sich tief und sagte: »Mit Verlaub und Vergunst, edle Dame, ich bin hergeschickt, um drei Haare aus Eures Herrn Bart zu holen. Und dann soll ich grad noch fragen, warum auch der Brunnen in jenem Garten versiegt sei und was die Tochter in jenem Haus wieder gesund machen könne und wie's auch jene Schildwache vor dem Tor draussen anstellen müsse, um abgelöst zu werden.«
»Ja, mein guter Freund, das ist eine böse Sache«, erwiderte die Frau, »mein Mann ist zwar eben ausgegangen. Aber wenn er heimkommt und dich hier findet, ist's um dich geschehen.«
Und sie hiess Michel gleich sich unter dem Bett verstecken und sich dort ruhig verhalten. Und richtig, kurz darauf kam der Teufel mit Gebraus und Donnergepolter nach Hause. »Ich schmeck, ich schmeck Christenblut!« schrie er so laut, dass die Teller auf dem Wandbrett klirrten, und schnoberte mit beiden Nüstern in der Luft herum, dass die Vorhänge flackerten.
»Ach, was du dir einbildest, hier ist weit und breit kein Christ!« sagte die Frau und schlug das Bett auf. »Es ist Zeit, schlafen zu gehen, und du wirst obendrein müde sein von der Fahrt, denk ich.«
Der Teufel brummte noch etwas in seinen Bart, ging zu Bette und schlief ein. Ritsch - da riss ihm die Frau mit einem Ruck ein Haar aus dem Bart. Der Teufel fuhr auf und schrie: »Was ist? Was zerrst du mich am Bart?«
»Ach, mir hat so kurios geträumt, der schönste Garten in der Welt sei verdorrt, weil die Quelle darin versiegt ist und nicht mehr fliesst.«
»Oh«, sagte der Teufel, »der Dummkopf, dem der Garten gehört, muss nur den Baum umtun, der darüber gewachsen ist, dann wird sie wieder fliessen wie zuvor.« Dann kehrte er sich um und schlief wieder ein. Da rupfte ihm die Frau - ritsch - ein zweites Haar aus. »Was zerrst du mich schon wieder am Bart?« schrie er. »Ach, mir hat so kurios geträumt, es sei ein Haus und darinnen liege die Tochter krank seit sieben Jahren und könne weder leben noch sterben. Und ihre Mutter weiss nicht, was sie mit ihr machen soll, denn kein Doktor kann ihr helfen.«
»Ach was, die dumme Gans! Das Mädchen ist auf eine Hostie getreten, und die ist an ihrem Schuh kleben geblieben. Die soll es verschlucken, dann wird sie auf der Stelle gesund.«
Sprach's und schlief weiter. Ritsch - jetzt riss die Frau ihm das dritte Haar aus.
»Was zupfst du mich schon wieder am Bart? Jetzt ist's dann aber genug!« rief der Teufel. »Ach, mir hat schon wieder so kurios geträumt.« »So, was hat dir denn geträumt?«
»Mir hat geträumt von einem, der stehe Wache draussen vor dem Tor und wisse nicht, wie er's anstellen solle, dass er abgelöst werde.«
»Eh, der Zipfel, der soll zu dem ersten besten, der vorübergeht, sagen: Bleib hier und warte, bis ich wiederkomme!«
Am andern Morgen, nachdem der Teufel ausgegangen war auf seine Arbeit, hiess die Frau den Michel, der alles mit angehört hatte, wieder hervorkommen und gab ihm die drei Haare. Der Michel dankte der Frau gar schön und trat geschwind den Heimweg an. Als er durch das Tor schritt, sagte er zu der Schildwache:
»So gib mir nun meinen Lohn, und ich sage dir, wie du abgelöst werden kannst.« Der Mann gab ihm einen Sack voll Gold.
»Sag zu dem ersten besten, der vorbeigeht: Bleib hier, bis ich wiederkomme!«
»So bleib du hier«, rief der Wächter. Aber da war der Michel schon weit und rief zurück: »Wart den nächsten ab!«
Als er wieder durch die Stadt kam, ging er in das Haus zu jener Frau und machte ihre Tochter zur Stunde gesund. Da bekam er wieder einen Sack voll Gold. Dann half er dem Eigentümer des Gartens den Baum umtun und siehe da, die Quelle sprudelte auf der Stelle wieder wie zuvor. Voller Freude schenkte der Herr ihm ebenfalls einen Sack voll Gold. Als nun der Michel wohlbehalten mit seinen Reichtümern heimkam, fiel ihm seine Frau um den Hals. Der alte Ritter aber bekam die drei Haare aus des Teufels Bart. Wie dieser aber die Reichtümer sah, fragte er, wo Michel das viele Gold herhabe.
»Oh, das bekommt man, wenn man in die Hölle geht und wieder zurückkommt«, sagte der Michel. Da besann sich der Ritter keinen Augenblick mehr, sondern machte sich stehenden Fusses auf den Weg zur Hölle. Und als er zum Höllentor kam, da sprach die Schildwache zu ihm:
»Bleib hier, bis ich wiederkomme.«
Und da musste halt der Ritter Wache stehen, und da steht er heute noch.
Aus Johann Jegerlehner: Sagen und Märchen aus dem Unterwallis, Basel 1909
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.