Im Sommer 1717 suchte der Kräutersammler und Wurzelgräber Joseph Scherer von Näfels am Fuss des Glärnisch Hirschenzungen, während sein Knabe allerlei Blumen pflückte. Plötzlich stiess der Bub einen gellenden Schrei aus. «Was ist los?» rief der Vater hinüber. Aber der Kleine gab keine Antwort, sondern starrte nur mit bleichem Gesicht und schreckerfüllten Augen nach einem grossen Stein. Das dünkte den Vater sonderbar. Er liess sein Kräuterbündel liegen und eilte herbei. Was sah er? Unter einem Felsblock hervor fauchte ein greuliches Tier, aus dessen katzenartigem Kopf zwei wilde, hervorstehende Augen funkelten. Schon wollte Scherer das Katzenvieh verscheuchen, als sich dieses bewegte und dadurch der ganze Körper sichtbar wurde. Vier krallenbewehrte kurze Beine trugen einen gesprenkelten Leib, der über und über mit Schuppen gepanzert und wohl so dick wie ein halbmässiges Kännli war. Mit dem langen Schwanze schlug das Untier aufgeregt hin und her und – gewiss wäre es auf die beiden Menschen losgesprungen, wenn der Kräuteler nicht kurzentschlossen einen Stock gespitzt und es damit durchbohrt hätte. Zu Scherers Verwunderung drang der Stock ganz leicht ins Fleisch, als ob er in einen Schlag Anken stäche. Aber giftiges, stinkendes Blut schoss aus der Wunde. Einige Tropfen spritzten an des Botanikers Bein, das sofort hoch anschwoll, so dass Scherer nur mit grosser Mühe heimhinken konnte. Länger als einen Monat musste er salben und doktoren, bis die Geschwulst endlich verschwand. Jedermann war überzeugt, dass der Wurzelgräber einen Drachen getötet hatte. Allerdings soll er nur etwa zwei Schuh lang und folglich sehr jung gewesen sein. Wer weiss, was Vater und Knabe erlebt hätten, wenn sie auf einen ausgewachsenen Lindwurm gestossen wären!
Die Geschichte kam auch dem berühmten Naturforscher Johann Jakob Scheuchzer in Zürich zu Ohren. Er bat seinen Freund, den Schwandner Pfarrer und Chronisten Joh. Heinrich Tschudi, er möge ihm doch solche Drachenknochen verschaffen. In dessen Auftrag suchte Schulmeister Jakob Steinmüller von Glarus an Ort und Stelle nach und fand tatsächlich etwa eine halbe Stunde oberhalb Glarus zwischen Streue und Tannadeln verschiedene Gebeine und einen halben Kopf. Die Drachenfunde am Glärnisch bildeten fortan eine Rarität in Scheuchzers Naturalienkabinett.
Quelle: K. Freuler, H. Thürer, Glarner Sagen, Glarus 1953
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch