Zwei Stücklein vom Doktor Thut

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Im Alten Glarus und weit über die Grenzen hinaus galt der Doktor Thut als ein Wundermann, der die schwersten Krankheiten heilen oder mindestens fast heilen konnte, mehr oder weniger. Zum Leidwesen all seiner Patienten aber starb er früh, und daran war niemand anders schuld als der Wunderdoktor von Altdorf, der Faust hiess. Der konnte ihn nicht riechen und soll ihn heimlich über Berg und Tal so lange geplagt und traktiert haben, bis er an einer unerklärlichen Krankheit dahinstarb. Denn der Faust ertrug keinen andern Wunderdoktor, und wenn er innewurde, dass ein Urnerbödeler statt nach Altdorf mit seinem Wasser nach Glarus hinunter gelaufen sei, so brauchte sich der kaum zu verwundern, wenn ihm tags darauf eine Kuh verkalberte oder eine Geiss an Frittern erfiel.

Einmal, als ihm die Galle überlief, beschloss er, dem Glarner Doktor einen Streich zu spielen, um den Urnerbödelern zu zeigen, dass er allein Herr aller Künste und der Glarner nur ein Pfuscher sei. So liess er denn eines Bodenbauern Knechtlein nach Glarus ziehen, gab ihm aber in einem wohlverschlossenen Gütterli ein wenig Wasser von dem braven Rösslein des Bauern mit. Das Knechtlein sollte dem Thut viel Komplimente machen und ihn fragen, was denn dem alten Fraueli fehle; auch solle er ihm die Tokterrustig gleich mitgeben und das Küntli dazu.

Der Doktor Thut hielt das Gütterli ein Weilchen gegen das Licht, ohne ein Wort zu sagen. Dann holte er einen Wisch Heu und eine Handvoll Haber und versorgte beides sorgfältig in ein Trüggeli. Das sei für den ärgsten Hunger, solle er auf dem Boden ausrichten, und die Bödeler sollten sich nicht allzu sehr verwundern, wenn in der nächsten Zeit das alte Fraueli ein Fülli bekomme, so ein kohlschwarzes mit roten Haaren, wie sie dem Wasserdoktor von Altdorf auf dem Kopf wüchsen, und vielleicht sei es ihm auch noch in andern Dingen ähnlich. Der Kostenpunkt aber betrage vier Gulden und nicht weniger, und die musste der Knecht auf den Tisch legen, sonst wäre der Thut seiner Lebtag nicht mehr auf dem Urnerboden erschienen.

Alte Leute erzählten sich noch anderes. Einst sei ein Urnerbodenpuurli mit irgendeinem Anliegen zum Doktor Thut gekommen. An der Stubentüre habe es ordentlich angeklopft, wie’s der Brauch sei, zweidreimal, und weil ihm niemand «Herein» gerufen, so habe es sich gedacht, er wird’s nicht gehört haben, und sei in die Stube getreten.

Der Thut, so erzählte das Puurli hernach, sei am Plattentisch gesessen und habe sich rasiert. Aber nicht rasiert, wie ein anständiger Christenmensch sich rasiere. Nämlich seinen Kopf habe er mitten auf den Tisch säuberlich in eine Porzellanplatte gestellt und sei mit dem Schermesser drumherum gefahren, dass es dem Puurli kalt über den Rücken hinuntergelaufen sei. Er habe keinen Schnauf mehr tun können, und da habe der Kopf sich umgedreht und gefragt, ob das nicht eine kommode Praktik sei, sich so zu schaben? Zuletzt habe er gar noch mitten über das Haar mit dem Strähl einen Scheitel gezogen, wie der Chorherr einen trage, und dann den Kopf wieder auf den Hals gesetzt, als ob das die natürlichste Sache von der Welt wäre.

Das aber sei so schreckhaft anzusehen gewesen, dass er den Finkenstrich genommen habe, und keine tausend Rosse mehr brächten ihn wieder in das Doktorhaus.

 

Quelle: K. Freuler, H. Thürer, Glarner Sagen, Glarus 1953
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch

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