In der Nacht vor dem längsten Tag erscheint auf den Näfelserbergen ein seltsamer, geisterhafter Mann. Beim Zwölfuhrschlag wandelt die knochige, in ein weisses Tuch gehüllte Gestalt auf eine alte Wettertanne zu, setzt sich dort auf einen Stein und beginnt, ihre mitgebrachte Sense zu dengeln, dass die hellen, harten Schläge weithin durch die stille Bergnacht zu hören sind. Die Bauern haben sich an den unheimlichen Gesellen gewöhnt, sprechen aber nicht gerne von ihm. Einmal erzählten sie die Geschichte einem Talbauern. Der hörte ihnen ungläubig lächelnd zu und spöttelte: «Gänd das amene Tümmere a! Z’erscht wett ich der Tängeler emal mit eigene Auge gsih. Eb ich sernigs Züüg pagge!» Da könne er den Geist gleich in ihrer Hütte erwarten und von dort aus beobachten, schlugen die Bergler vor, und so wurde es gehalten.
Pünktlich fand sich der Neugierige ein. Während seine Gastgeber, vom strengen Tagewerk ermüdet, bald einschliefen, legte er sich auf die Lauer. Genau um Mitternacht erschien der hagere Weisse auf seinem Arbeitsplatz, legte die Sense zurecht und fasste mit knochiger Faust den Hammer. Täng-täng-täng-täng! Dabei ging von der Geistergestalt ein fahles, schwefliges Licht aus. Diesen schaurigen Anblick konnte der Talbauer nicht ertragen. Ohnmächtig sank er zu Boden, wo ihn die Bergler am Morgen fanden. Nur mit Mühe riefen sie ihn ins Bewusstsein zurück. Seither lächelte er nicht mehr über die merkwürdigen Erzählungen jener Bauern.
Quelle: K. Freuler, H. Thürer, Glarner Sagen, Glarus 1953
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch