Das Geldfass im Walensee

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Zur Zeit des sinkenden Mittelalters, als die Eidgenossen erstarkten und reich wurden, der kleine Adel dagegen verarmte, sassen die Ritter da und dort auf ihren Burgen, träumten dem verblassten Tournierzauber und den für immer verklungenen Minneliedern nach, sahen müde dem Zerfall ihrer verbrauchten Welt zu und konnten die grelle Morgenröte der neuen Zeit nicht ertragen. Zu diesen lebenden Überbleibseln einer grossen Vergangenheit gehörte auch Graf Georg, der letzte Schlossherr auf Sargans, der nach und nach seine ausgedehnten Besitzungen in Bünden verkaufen musste, und der schliesslich gar seine stolze Burg am Gonzen feil wurde. Bald wusste man zu Stadt und Land, auf dem wievielten Loche der Sarganser pfiff, so dass fast in jedem Mondviertel ein Bürgermeister oder Landammann den Burgweg hinaufritt, um dem Grafen mit wenig Geld und viel guten Worten seine letzte Herrschaft abzumarkten.

Damals - es soll am Silvester 1482 gewesen sein - erschien in Weesen eine fremde vornehme Frau. Vier Knechte ruderten sie durch die Maag hinauf in den Walensee, und mitten im Schiff lag ein grosses Fass, dessen Dauben eine schwere Menge gut geprägten Geldes bargen. Mit diesem Gelde wollte sie dem Grafen Georg Schloss und Stadt Sargans abkaufen. Als die Knechte das Boot in den See hinausfuhren, gewahrten sie am Mürtschenstock und um die Churfirsten herum gewitterschwere Wolkenballen, aus denen bald auch Blitze niederschossen. Mit einem Male tanzten weisse Schaumkrönchen auf den Wellen einher, wurden grösser und grösser, packten das Schiff wie mit Krallen an und warfen es auf und ab, hin und her. Die Knechte erkannten die Gefahr. Sie wollten umkehren, um in Weesen günstigeres Wetter abzuwarten. Es sei Gott versucht, dem Sturme zu trotzen, sagten sie. Aber die Frau, die wohl noch am selben Tage Schlossherrin zu Sargans werden wollte, verlangte, dass weitergefahren werde, sei es dem Herrgott lieb oder leid. Ja, sie griff eigenhändig zum Steuer und jagte den Kahn mitten in die Wogenkämme. So kam’s wie’s kommen musste: Gleich einer riesigen Pratze schlug eine Grundwelle das Schiff in die Tiefe. Weder die fremde Frau, noch ihre Knechte wurden je wieder gesehen.

Am zweiten Tag des neuen Jahres verkaufte der letzte Graf von Sargans seine Herrschaft den sieben alten Orten, welche alsbald ihre Standeswappen an das graue Burggemäuer malen liessen, was sie gewiss nicht hätten tun können, wenn die fremde Frau nicht mit ihrem Geldfass und ihrem Starrkopf untergegangen wäre!

Der Schatz liegt heute noch in der schattigen Seetiefe vor den Felsen des Kerenzerbergs, und würde der Wasserspiegel nicht stets vom Winde getrübt, so sähe man das Fass gewiss. Ich wollte aber keinem raten, es heraufzuholen, denn es wird von unförmigen Seetieren bewacht, die nichts mehr herausgeben, was einmal in ihren Bereich geraten ist.

 

Quelle: K. Freuler, H. Thürer, Glarner Sagen, Glarus 1953
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch

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