In einer Höhle im Sallerntobel hausten vor Zeiten Zigeuner. Die Kerenzer sahen dies fremde Gesindel nicht gern, denn mancher Bauer bemerkte mit Schrecken, dass seine Hühnerschar fast täglich kleiner wurde.Abends verriegelte man darum Häuser und Ställe sorgsam. Die Hunde liess man hungern, damit sie nachts wachsam seien.
Eines Abends, lange nach dem Betenläuten, polterte jemand an die Brittli eines Bauernhauses, in dem eine alleinstehende Frau wohnte. Als sie öffnete, erblickte sie draussen einen dunkelbärtigen, grossen Mann. Es war einer jener Zigeuner aus dem Sallerntobel. Der Fremde bat flehentlich um Hilfe. Seine Frau sei in Kindsnöten und müsse sterben, wenn ihr nicht beigestanden werde.
Die gute Bäuerin überwand ihre Furcht, raffte das Nötigste zusammen und eilte mit dem Zigeuner in die Felsenwohnung. Dort verrichtete sie mit Geschick ihre Aufgabe, und als das kleine Zigeunerlein zur Welt gekommen war, sprach die glückliche Mutter: «Habt vielen Dank, gute Frau! Vergelt’s Euch Gott! Nehmt zum Lohn für Eure Nächstenliebe diese Handvoll Laub und legt sie daheim auf die Herdplatte!»
Das dünkte die Helferin denn doch ein geringer Lohn. Verärgert stieg sie durch das Tobel hinauf, wobei sie unter Schimpfen und Maulen die Blätter achtlos fallen liess. Als sie daheim anlangte, trug sie nur noch ein einziges Blättlein in der Hand. Wunders halber legte sie es doch auf die Herdplatte – und siehe da! –, es verwandelte sich plötzlich zu einem lötigen, funkelnden Goldstück! Man kann sich denken, dass die Frau sofort im Sallerntobel nach den übrigen kostbaren Blättern suchte. Aber es war umsonst, der Wind hatte sie inzwischen nach allen Richtungen verweht.
Quelle: K. Freuler, H. Thürer, Glarner Sagen, Glarus 1953
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch