«Mögt ihr's glauben oder nicht, es ist doch so», pflegte der alte Bauer Jochem zu sagen, wenn er seinen Enkeln von all den wunderlichen Dingen erzählte, die er in seinem langen Leben gesehen und gehört hatte. «Auf dem Bücheli hauste ehedem ein altes Weib. Das war krank, jahrelang krank. Ich weiss es nicht anders, als dass diese Frau im Bette lag und sich von den Nachbarskindern Brot und Käse holen liess. Aber Milch hatte sie immer genug, obwohl sie weder eine Kuh noch eine Geiss ihr Eigen nannte und auch von niemand ein Tröpflein erhielt. Böse Zungen behaupteten, dieses Weib könne nur am Betttuchzipfel ziehen, so fliesse Milch heraus, soviel sie nötig habe. Und das sei die Milch der Kühe auf der Alp Vorderegg. Ich habe solches Zeug damals sowenig für wahr gehalten, wie ihr», fuhr der Alte dann mit vielsagender Miene fort, «aber als mir später mein Vetter Kaspar auf Kerenzen ganz im Vertrauen berichtete, er wisse dort oben auch einen, der’s so treibe, da machte ich mir doch meine Gedanken. Dieser Kerenzer benützte zum Melken gar nur das Handtuch, das hinter der Küchentüre hing. Da brauchte er nur ein paarmal daran zu zupfen, und schon schäumt die nidelschwere Milch in den Eimer. Dafür schimpfte dann da und dort ein Bauer, wenn er aus seiner Kuh keinen ’Sprutz’ mehr herausbrachte, weil sie schon von einem andern gemolken worden war. Mit natürlichen Dingen kann doch so etwas nicht her- und zugehen, oder?»
Quelle: K. Freuler, H. Thürer, Glarner Sagen, Glarus 1953
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch