Auf eine Alp im Glarnerland kam regelmässig ein altes, stilles Männchen. Es suchte Steine zusammen, um sie in einem Sacke fortzutragen. Die Sennen wussten, dass es ein Venediger war, und dass diese Käuze ihre Fundstücke nicht zum Pflästern brauchen. Als er daher eines Abends wieder mit den Älplern ums Feuer sass, baten sie ihn, er möchte ihnen doch sagen, wie man die Erze finde. Der Alte wollte zuerst nicht recht mit der Sprache ausrücken. Erst als ihm die Sennen versprochen hatten, ihn kostenlos zu verpflegen, solange er hier oben sei, gab er ihnen ein Zeichen, näher heran zu sitzen. Über solche Dinge dürfe man nicht laut reden. «Und bei Leib und Seele nichts ausplaudern!» mahnte das Männlein. Die Glarner gelobten es hoch und heilig, streckten die Hälse und spitzen die Ohren, als der Venediger begann:
«Es ist nicht jedermanns Sache, die Erze im Gebirge aufzusuchen. Es braucht dazu eigene Leute, die wissen, dass es viererlei Geister gibt. Einer herrscht über den Himmel, ein anderer über die Hölle, der dritte über die Erde und die Natur und der letzte über die Menschen. Der Geist über die Erde deckt alle Schönheiten der Natur und namentlich die Erze auf. Der Geist über die Menschen aber weiss, dass die Leute nur lasterhaft werden, wenn sie zu viele Erze bekommen. Darum verdeckt er sie, so dass sie für die Menschen unsichtbar sind. Nur wenige können die Verblendung dieses Geistes entdecken, und der Geist der Natur muss es ihnen selbst zeigen.» Mehr verriet der schlaue Venediger nicht, und die guten Älpler wussten so ziemlich gleich viel wie zuvor.
Quelle: K. Freuler, H. Thürer, Glarner Sagen, Glarus 1953
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch