Die Sage von der Belagerung der Stadt Schaffhausen

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

durch Bilgeri von Heudorf, zur Zeit, als sie den ersten Bund mit den Eidgenossen einging,

Juni 1454

Ertzhertzog Siegmund besamlete auf diese Kayserliche Concession hin eine auserlesene ansehnliche Reüterey von etlich 100 Mann, meistens Ritter und Edle, und diesen gab er einige Commissarios und Gesandte zu, under welchen der Todfeind [von Schaffhausen] Bilgeri von Heüdorff selbsten einer der vornemsten ware. Diese Mannschafft trabete dann zu End des Mayen das Klettgöw hinauf, zweifelsohne von Waldshut her, allwo ihr Sammelplatz gewesen, und eilten recta Schaffhausen zu. Das Gerücht aber lieffe ihnen zuvor. Dann es kahmen einige ab unsrer Landtschafft und aus dem Klettgöw daher gerennet und brachten den unvermutheten Bericht, wie das eine gantze Armee feindlicher Reüter gegen die Statt im Anzug seje. Ware man nun biß dahin in Ansehung des Hauses Oesterreich in heimlichen Sorgen, so geriethe nun erst durch die unversehene Ankunfft dieser ungebättenen Gästen jederman in offenbahren Schreken und in die eüßerste Beklemmung. Die Thore wurden in Eil beschlossen, die Burgerschafft schleünigst zu den Waaffen gemahnet. Weiber, Kinder, Bürger, Fremde, Reiche, Arme lieffen in der Angst zusammen, lamentirten, und ware alles in Kummer und Confusion. Mittlerweil ließe sich diese kleine fliegende Armée oben auf unser Enge sehen, allwo sie erst hin- und herritten, um sich in ihrer Waaffen-Rüstung zu zeigen. Hernach schlugen sie ein flüchtiges Feldlager auf.

Einige Minuten hernach kahmen die Oesterreichischen Commissarii samt ihrem Sprecher für die Statt, begehrten eingelassen und angehört zu werden. Die Thore wurden ihnen sofort eröffnet, und der Orator derselben, ... Bilgeri von Heüwdorff, thate die Anrede an den Bürgermeister und machte ihme dieses unerwartete Compliment: Sie haben Befehl vom Kayser und Ertzhertzog Sigismund, die Statt Schaffhausen, welche hiebevor und noch nicht seith langen Jahren an Oesterreich verpfändet gewesen, sich aber von dieser Pfandtschafft eigenmächtig loßgemachet, widerum zu Händen des Fürsten Siegmunds und seines Fürstlichen Hauses einzuforderen. Es solte danahen eine gantze Burgerschafft sich ungesäumt versamlen und diejenigen articul, welche ihnen in puncto wurden vorgelegt werden, eingehen, und darauf unverzüglich den Eydt schweren. Ansonsten und widrigen, unverhofften Fall man sie mit Gewalt der bey Handen habenden Waaffen hierzu nöthigen werde. Und damit zoge er die articul herfür, welche allzumal in überaus harten, knechtischen und unmöglich einzugehenden Terminis abgefasset waren.

Hierauf gabe der damahlige Bürgermeister [Hans am Staad bzw. Hans von Waldkirch] eine recht tapfere, unerschrokene und heroische Antwort, sagende: „Diese articul sind zu hart, ich darf sie der Burgerschafft nicht hinderbringen. Ihr Herren überspannet den Bogen   nicht und treibet die Sach zu hoch. Ich versichere eüch, es wirt auf diese Weise nicht angehen.“ Die Commissarii beharreten auf ihrem Vortrag und Meinung und wolten nicht eine Sylbe davon weichen.

Hierauf versamlete sich der Magistrat und die samtliche Burgerschafft auf denen Zünften. Die Ursach dieses unvermutheten feindlichen Ueberfalls wurde ihnen angezueigt und die articul verlesen. Anfänglich nun ware die Burgerschafft und der allhiesige Adel nicht gantz ungeneigt, das ehmahlige hertzogliche Joch wiederum über sich zu nemmen wofern sie nur bey ihren alten Freyheiten und Gerechtigkeiten verbleiben könten. Innsonderheit, weilen sie damahlen diese unvermuthete Kriegsmacht vor ihren Augen sahen, deren sich mit Gewalt zu widersetzen sie sich nicht im Stand und gantz unbereitet befanden und die man zweifelsohne auch vil höher schätzte und größer machte, als sie aber in der That ware. Und gewiß, wann die Oesterreicher sich damahlen ihrer Kräfften und des Schrekens der Burgerschafft rechtmäßig zu bedienen gewußt und die Statt in der ersten Verwirrung angefallen hetten, es sehr mißlich um ihre Erhaltung gestanden wäre. Oder wann sie wenigstens an Statt Trotzens freündlich mit dem Volk geredet, sie ihren Zwek fast völlig erreichet haben würden.

Als nun der Bürgermeister denen Commissariis diese der Bürgeren Meinung eröffnete, wie daß man ohngeacht der Kayserlichen Befreyung doch nicht gantz ungeneigt seye, den Ertz-Hertzogen widerum zu einem Oberherren anzunemmen, nur bäthe und hoffe man, es möchten die vorgetragenen Articul als allzuhart in etwas gemildteret werden, man möchte der Statt ihre alten Freyheiten, welche sie auch ehebevor under der Oesterreichishcen Regierung beständig genossen, noch fernerhin lassen und endlich bedenken, wie hoch sie ihre Loßkaufung zu stehen gekommen. Da zoge Bilgeri von Hewdorff die Seithen noch vil höher auf, daß sie nothwendig an dieser Leyer springen mußten, und antwortete wie dort Rehabeam dem Volk hart, gebrauchte anstatt des kleinen Fingers seines Vatters diksten Arm und redete von Scorpionen. Dann es lieffe seine gantze Rede auf lauter knechtische Underthänigkeit, auf Gehorsam und unbedingte Underwerffung und zwaren under lauter Trotzen, Pochen und Schnarchen, hinaus. Under anderem ließe er sich dieser hochmütigen Worten vernemmen: „Wir wollens jetz so haben und nicht anderst.“ Da nun unsere Edelleüth in Schaffhausen, welche ohne dem ehemahlen under dem Hauß Oesterreich schlechte Seiden gesponnen, hören müßten, daß man ihnen eine so knechtische Dienstbarkeit so unverschämt und troken under Augen verkündigte, fasseten sie endlichen auch Feüer, hindertrieben die schon gefaßte Resolution der Burgeren und machten sie widerum abwendig. Und hierauf fasseten sämtliche Burger, Edle und Gemeine, den hertzhafften Entschluß, die Oesterreicher mit guten Worten hinzuhalten und diese Commissarios mit dem Bescheid abzufertigen, daß man sich über eine Sach von so hoher Wichtigkeit miteinanderen berathen und bedenken wolle, worzu man sich dann einige wenige Tage Bedenkzeit ausbitte, welches diese dann auch einwilligten.

Indem nun Bilgeri von Höwdorff mit seinem Complot auf diese Antwort wider hinweg geritten, wurde der Magistrat und die Burgerschafft räthig, in höchster Eil eine Gesandtschafft an die sämtlichen Eydgnossen, und zwaren vordersamst nach Zürich zu senden, dieser unser ehmals verbündeten Statt unsere dermahlige große Bedrängnus wehmüthigst zu berichten und sie um ihre Eydgnössische nachbarliche Hüllfe anzuflehen, welche uns dann auch also bald freündwilügst zugesaget worden. So dann wurden an gleichem Tag an die übrigen Eydgnossen der 7 alten Ohrten einige unsrer Rathsbotten gesendet, um ihnen nebst Zürich eine Bündtnus anzutragen. Unsere Gesandten wurden aller Ohrten mit großen Ehren, Liebe und Freundlichkeit empfangen, die angetragene Bündtnus mit allem Willen einhellig von ihnen angenommen und zu dem End von Zürich, Bern, Lucern, Ury, Schwytz, Underwalden, Zug und Glaris in puncto einige Gesandten zu Anfang des Brachmonats an uns abgefertiget, um nicht nur unsere Statt ihrer Herren und Oberen nachdruksamen Assistenz und Beystandts zu versicheren, sonderen auch ohne Anstand mit uns eine Schutzbündtnus auf 25 Jahr zu schließen ...

Mittlerweil campierten die Oesterreicher oben auf unser Enge; [sie] hatten die Statt von der Land-Seithen her gantz enge eingeschlossen und bloquirt, also daß niemand aus- und eingehen könte. So bald man nun in der Statt die Ankunfft der Eydgnössischen Herren EhrenGesandten vernommen, bezeugte jederman eine recht innigliche Freüde und überlautes Froloken; es wurden auch so gleich alle Gloggen in der gantzen Statt angezogen, und wäre nichts als Freüde. So bald sie nun über die Rheinbrugg und zu unserem Rheinthor eingeritten, lieffe ihnen die gantze Burgerschafft häuffig entgegen und bewillkommeten sie mit einem solchen Freüden-Feld- und Jubel-Geschrey, daß es nicht nur bis auf die Enge, sonderen noch weiter hin erschallen könte. Die Oesterreicher wurden erstlich über das ungewöhnliche Laüten und hernach über das Geschrey nicht wenig bestürtzet. Aber wie erschraken sie erst, da sie von der Enge herab den prächtigen Einritt der Herren Ehren-Gesandten und deren Gefolg mit ihren Augen sahen und zugleich hörten und merkten, was ihnen Schaffhausen für eine Tour gespiehlet, da sie sich in der Zeit um Eydtgnössische Hülffe umgethan. Als sie nun noch über das vernommen, daß die Eydgnossen mit unser Statt einen 25 Jährigen Bundt angenommen und denselben under Laütung der Gloggen und großem Froloken gleichsam vor ihren Augen zusammen beschworen, wollen sie vollendts halb unsinnig werden und gaben nun alles gäntzlich verlohren dann sie sahen nunmehro gar zu wol, daß sie es nun mit einem weit stärkeren Feind zu thun [hatten]. Einer von Randegg solle dazumahl gesagt haben: „Habe ichs eüch nicht treülich zuvor gesagt, ihr spannet den Bogen allzu hoch. Die Statt wäre auf heüte ohne Schwerdtstreich unser gewesen; allein eüer Trotzen hat es verursachet, daß sie nun für uns auf immer verlohren seyn wirt. Jetz hofieret denen Schaffhauseren in die Schue.“ Welche freye Rede aber ihme gar übel bekommen, indem man ihne an Eisen geschlossen und gebunden naher Waldtshut geführet haben soll. Damit brachen dann die Oesterreicher mit ihrem Lager ohnverrichter Sachen in Eil und zimlicher Confusion widrum von Schaffhausen auf und randten under lauter Verdruß und tausend redlichen Hegöwischen Flüchen davon, um Sigismundum mit dem passierten eiligst und fein bald zu erfreüen.»

Laurenz von Waldkirch, Merkwürdige Begebenheiten der Statt Schaffhausen (Manuskript von 1741 im Staatsarchiv Schaffhausen)

 

 

Aus: R. Frauenfelder, Sagen und Legenden aus dem Kanton Schaffhausen, Schaffhausen 1933.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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