Bei Escholzmatt wohnte ein reiches Ehepaar, welches nur ein Kind hatte. Dasselbe war aber den Eltern so lieb, dass sie buchstäblich nichts Lieberes besassen als ihr Büblein. Kein Vaterunser konnten sie mehr recht beten, weder in der Kirche noch zu Hause, bei Gott im Himmel.
Da wanderte einst in selber Gegend ein armer Glasträger, zu dem sich auf dem Wege ein Pilger gesellte. Dieser, ein frommer und vielgereister Mann, wie es schien, wusste jenem allerlei Schönes und Merkwürdiges zu erzählen und der Glasträger beachtete es nicht, dass sie auf einen Seitenweg eingelenkt hatten, statt auf der Hauptstrasse sich zu halten. Sie kamen unter dem fesselnden Gespräche zum Hause der reichen Leute mit dem allzugeliebten Kinde und da schon die Nacht hereinbrechen wollte, baten sie um Herberge. Mit grosser Ehrfurcht ward der Pilger empfangen und seinetwegen war auch der Glasträger eine angenehmere Person als sonst. Man richtete ihnen eine Mahlzeit her, so gut sie 's konnten und bereitete für die beiden eine Schlafstätte in der Stube, da gerade wegen anderem Besuche keine Kammer mehr zu vergeben war. Als alle in der tiefsten Ruhe lagen, weckte der Pilger seinen Gespanen auf und zeigte ihm das Kind des Hauses, indem er sprach, er wolle es töten. Voll Entrüstung über einen so schlechten, grausamen Dank für die freundliche Bewirtung strengte sich der Glasträger eiligst an, die Leute aus dem Schlaf zu schreien, damit doch der böse Mann, für den er den Pilger hielt, den rechten Lobn bekäme. Allein die Stimme versagte ihm und schon war die Tat geschehen. Der Unbekannte ging und legte das tote Kindlein wieder hin, wo er es genommen. Dann ergriff er eben so schnell den erstaunten und empörten Glasträger, und trug ihn, wie durch ein Wunder, zum Haus hinaus unter freien Himmel. Da zeigte er ihm, wie eben eine weisse Taube zum Himmel flog. Das sei, bedeutete der Pilger, des Kindleins reine Seele, nun sei es für ewig gerettet und selig, während es sonst auf Grund der allzu grossen Elternliebe verloren gegangen wäre, samt Vater und Mutter, die jetzt auch in sich gehen und um ihrer guten Eigenschaften willen durch dieses zeitliche Unglück zum Heile geführt würden. Nun verschwand der Pilger, es war des Knaben Engel gewesen.
Quelle: Alois Lütolf, Sagen, Bräuche, Legenden aus den fünf Orten Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug, Luzern 1865. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch.