Abends beim Melken der Kühe verschüttete ein Alpknecht in der Salwiden ob der Schlacht am Sörenberg einen ganzen Eimer Milch und begann darüber nach seiner wüsten Art zu fluchen. Da hörte er in einer Ecke des Stalles ein lautes Seufzen, konnte jedoch kein lebendes Wesen entdecken, von dem dies hätte herrühren können. Von dem Vorfalle gab er seinem Meister Anzeige und dieser mochte sich gerne überzeugen, ob denn wirklich etwas Geisterhaftes im Stalle wäre. Nächsten Abend sollte der Knecht wieder Milch vergiessen und dazu fluchen, während der Meister in jener Ecke des Stalles abhorchen und aufpassen wollte. Wie verabredet, so taten sie und das Seufzen liess sich richtig hören; doch tat der Meister, als ob er nichts gehört habe und verbot dem Knechte und der etwas ängstlichen Frau, die ohnehin schon Erdleutchen daherum wollte bemerkt haben, von der Sache zu sage. Um ganz sicher zu sein, machte jedoch der Melker nächstes Mal die unfromme Probe wieder und vernahm richtig dasselbe Seufzen.
Der Sommer war vorüber und das Vieh ward heim ins Tal hinab geschafft. Als die letzte Kuh über die Alpgrenze war, sprach der Meister, wie es die Sitte verlangte, noch ein andächtiges „Walt Gott!" über seine Alp. In diesem Augenblick bemerkte der Knecht, dass er droben in der Hütte seine Uhr vergessen habe und lief, was gibst was hast, sie zu holen. Dort angelangt sieht er, dass eine ganze Gesellschaft Erdleutchen schon im Begriffe stand zu käsen und sogleich empfieng er von ihnen böse drohende Mienen und Worte. Besonders war es ein winziges Weiblein, das ihm wegen dem Fluchen beim Milchvergiessen harten Vorwurf machte und ihn belehrte: „Alle Milch, die während des Jahres verschüttet wird, die ist unser. Nur jene können wir uns nicht aneignen, worüber man geflucht hat. Aus dieser gesammelten Milch machen wir dann unsere Käse und die sind höchst vortrefflicher Art; sie sind gut zu essen, für den Mund und die Gesundheit, sie haben vorzüglich die köstliche Eigenschaft, dass sie unter gewissen Bedingungen nie abnehmen. Siehe, was hast du also mit deinem Fluchen geschadet. Und jetzt mache, dass du fortkommst auf der Stelle, oder …!" — Da schaute der grosse, kräftige, herzhafte Gesell mit stolzem, verächtlichem Blick auf das kleine Wesen hinunter, indem- er gleichzeitig zu einer entsprechenden Redensart das erste Wörtchen „was?" ansetzte. Er erhielt aber keine Frist zum weitern Reden, indem das Zwergenweib plötzlich zu einer Riesengestalt in die Höhe wuchs, so dass der trotzige Flucher gern die Uhr im Stiche liess, eiligst die Flucht ergriff und in Schweiss gebadet endlich seinen Herrn ereilte. Er soll nicht mehr lange gelebt haben.
Quelle: Alois Lütolf, Sagen, Bräuche, Legenden aus den fünf Orten Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug, Luzern 1865. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch.