Die Frau im wilden Heere: Allerlei von der Streggelen

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Auf dem Galgenbächlein zwischen Sarnen und Sachseln reitet über Stock und Stein die wilde Geisterfrau auf „höllischem Ungethüm" und schreit dazu, dass man 's Stunden weit hört. Dasselbe tut sie im Bachtobel nördlich von Meggen, im Tobel des Dorf- und Sekibachs zu Walchwil und im Schwarzenbach zu Allenwinden. An letzterm Orte hörte man ein furchtbares Geheul von mannigfaltigen Tierstimmen, als ob Schweine, Hunde und Katzen bei dem Heere wären oder einander verfolgten. Zwei Männer haben das Ding in Gestalt einer grossen schwarzen Heuburde, die sich abwärts bewegte, geschaut. Andere wollen das Gespenst als ein grosses Mutterschwein gesehen haben, das mit neun bis zwölf grunzenden Jungen den Schwarzenbach abzieht. Unter der Hülle einer Mohre (Sau) erscheint das Wesen auf dem Steinerbach zu Steinen bei Schwyz. Gewöhnlich falle auf sein Erscheinen schlechtes Wetter ein. Bei Altdorf im Kanton Uri rauscht nachts die „Grosskellerin" durch's Birebäumlital und wütet auf dem nahen Sisigenbach vom Berg herunter und in den Waldstättersee hinein. Sogar droben im Bergdorfe Gurtnellen, abseits der Gotthardsstrasse erzählt man von ihr. Es laufen ihr, der Alten, „junge Gespenster" nach, denen sie lockt mit dem Rufe: „Su, su!" Also ist es wiederum die Schweinsgestalt, unter welcher man sie sich denkt. Dem Zuge immer voran, nahm die Alte den Weg über den Gurtnellerberg in das Tobel Eulensaul, von dort bis in's Jnschitobel, dann durch das Schwaudental bis auf die Höhe des Nonnenstockes. Wenn sie wanderte, gab es sehr schlecht Wetter. Einmal begegnete ihr auf diesem Zuge ein Nachtbub. Der hatte einen tüchtigen, unten mit Stift versehenen Stock in der Hand und war so frech, denselben dem Gespenste nachzuwerfen. Als er am folgenden Morgen seinen Stock wieder suchte, fand er ihn lange nicht und entdeckte ihn endlich im Eulentobel auf einem hohen Lindenbaume, zu oberst auf dem Wipfel eingesteckt. Und wiederum geschah, dass sie bei einem Gaden vorbeijagte und ein Knabe sie erblickte. Er sagte es seinem Vater, der ihm hurtig herein zu kommen befahl. Doch blieb der Kleine so unter der Türe stehen, dass eines seiner Beine noch ins Freie hinaus ragte. Daran ward er „furchtbar" krank.

 

Quelle: Alois Lütolf, Sagen, Bräuche, Legenden aus den fünf Orten Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug, Bei dieser Sage gibt es keine genaue Zuordnung zu einem der fünf Kantone. Luzern 1865. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch.

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