An der Treib, Brunnen am Waldstättersee gegenüber, war Hochzeit. Der Spielmann hatte sein Kind bei sich und schiffte abends mit ihm auf dem See heim nach Gersau. Ich weiss nicht, wie es kam, aber das Kind musste hungrig von dem Orte hinweg, wo andere vollauf Freuden, Essen und Trinken genug genossen hatten. Flehentlich bat es den Vater um Brot. Er verheisst zu geben, wenn es ihm drei Rätsel löse. Frage und Antwort lauteten:
Was ist linder als Vogelflaum?
Der Mutterschoss.
Was ist süsser als Honigseim?
Die Muttermilch.
Was ist härter als Kieselstein?
Dein Vaterherz.
Jetzt ergriff der Unmensch das arme Geschöpf, zerschmetterte es am Felsen und verbarg die Leiche darunter. Einen Schuh desselben fand man hernach bei Gersau nächst einer Fluh, die deshalb den Namen zum „roten Schuh" erhielt.
Der Mörder nahm Handgeld und zog in fremden Kriegsdienst. Dort sass er einst mit andern Soldaten beim Glas Wein und Gott fügte es, einer kam auf den Satz, wie nichts Böses verborgen und ungerächt bleibe. Es ist ein altes Sprüchwort: Der Wein löse die Zunge! Und so widersprach der Schuldbeladene der gemachten Behauptung. Nicht immer komme etwas an den Tag, er wisse es. Nun nahmen die andern ihn schnell beim Wort. Er soll's beweisen; und wie er jetzt merkt, dass er zu viel gesagt, wird er erst recht verlegen und schamrot. Kurz, es kam an den Tag und Blut forderte Blut. — Der Stein, an dem er das Kind erschlagen, soll vor etwa zwanzig Jahren zertrümmert und als Kalk verwendet worden sein. Nahe dabei erhält jedoch die Kapelle zum Kindleinsmord die Sage in frischem Andenken. Sie steht nachweislich seit 1570.
Quelle: Alois Lütolf, Sagen, Bräuche, Legenden aus den fünf Orten Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug, Luzern 1865. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch.