Ein Mädchen ging jeden Nachmittag mit seinem Schüsselchen warmer Milch und Brot darin hinter das Elternhaus und wollte nur da essen. Auf dieses wurden endlich die Eltern aufmerksam und der Vater verbarg sich einmal an der Ecke des Hauses, um, ungesehen von dem Kinde, doch zu erfahren, warum es jedesmal dort hinausgehe. Als nun der Vater so auf der Lauer stand, hörte er, wie sein Kind zu jemanden sagte: „Ach! Du trinkst und nimmst mir ja alle Milch, friss Brocken auch!" - Die Rede vewunderte den Vater, er bog sich um die Ecke und da sah er mit Entsetzen, wie ein Wurm Milch trank aus dem Schüsselchen seines Kindes. Was er seinem Töchterchen sagte und wie er die Schlange entfernte, ob das Kind später noch Sehnsucht nach der Schlange, oder die Schlange Sehnsucht nach Milch hatte, weiss ich nicht mehr genau. Einige wollen behaupten, das Mädchen habe mit Einwilligung des Vaters fortgefahren und habe täglich ihr Milchbrot mit der Schlange geteilt, und sie habe dieses selbst noch als Jungfrau getan und endlich bei ihrem Hochzeitmale sei die Schlange auch in den Speisesaal hereingekommen, und habe ein goldenes Krönchen in den Schoss der Braut gelegt. Unsere alten Obwaldner fabelten sonst noch sehr viel von Schlangen mit goldenen Krönchen auf ihrem Haupte.
Quelle: Alois Lütolf, Sagen, Bräuche, Legenden aus den fünf Orten Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug, Luzern 1865. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch.