Vom Mägdlein ohne Arme

Land: Schweiz
Kategorie: Zaubermärchen

In einem kleinen Häuschen vor dem Dorfe lebte einst ein bitterarmes Ehepaar, welches sich und das einzige Töchterlein kaum zu ernähren vermochte. Als gerade die Not am größten war, kam eines Tages ein fremder Herr in einem grünen Rocke in die Hütte und sagte den guten Leuten, er wolle für das Töchterlein sorgen, wenn die Eltern ihm dasselbe nach 12 Jahren zu eigen geben wollten. Diesen Vorschlag nahm der Vater gerne an und schmunzelte zufrieden, als der Fremde ihm einen Beutel voll Gold mit den Worten überreichte, es werde sich derselbe nach Wunsch immer wieder füllen. In dem Augenblicke aber, wo der fremde Mann die Stube verließ, gewahrte der Vater mit Entsetzen, daß Jener Pferdefüße hatte, und er wußte nun, daß er seine Tochter dem Teufel verschrieben.

Inzwischen wuchs das Töchterlein fröhlich heran, des schlimmen Schicksals unbewußt. Und nach 12 Jahren kam der Grüne von damals und forderte die Tochter. Als das unschuldige Mägdlein aber zu ihm hintrat, merkte er wohl, daß es sich gewaschen und bekreuzt hatte, so daß er ihm nichts anhaben konnte, weswegen er zum Vater sagte, er solle, ehe das Kind sich waschen und bekreuzen könne, ihm beide Arme abschlagen und es an einen Baum im Walde binden. Am andern Morgen aber stund die Tochter noch vor Sonnenaufgang auf und wusch und bekreuzte sich nach alter, frommer Sitte. Der Vater, von Habsucht geplagt, tat inzwischen, was ihn der Grüne geheißen und führte das arme, verstümmelte Kind hinaus in den Wald. Der Teufel kam, aber er hatte wieder keine Gewalt über sein Opfer. Die Jungfrau wäre indessen elendiglich verschmachtet, wenn nicht ein Königssohn des Weges geritten wäre und sich der frommen Jungfrau ob ihrer wunderbaren Schönheit erbarmt hätte. Er löste ihre Bande, setzte sie auf sein Roß und ritt mit ihr in das Schloß seines Vaters. Da dieser just den einzigen Sohn gerne vermählt gesehen hätte, dieser aber die fremde Jungfrau ohne Arme zur Frau wollte, so willigte der gute alte König, von der Anmut der Fremden bezaubert, ein, und so ward die Hochzeit mit großer Pracht gefeiert. Das junge Paar lebte glückliche Tage, bis der Königssohn in den Krieg ziehen mußte. Nach einigen Wochen ritt indessen ein Edelknabe aus dem Thore des Königsschlosses dem Lager zu mit der frohen Mähre, daß die junge Fürstin eines Zwillingspaares genesen sei. Im Walde begegnete dem Boten eine Hexe, die mit ihren bösen Blicken das Schreiben verzauberte, so daß der Prinz mit Entsetzen die Mähre zu lesen bekam, daß ihm seine Frau zwei Katzen geboren habe. Ergrimmt gab er den Befehl, die Fürstin mit ihrer Mißgeburt in den Wald hinauszustoßen. Mit Kopfschütteln vernahm man im Königsschlosse den seltsamen Befehl, aber niemand wagte eine Einrede, und so ward die arme Fürstin mit ihren Kindern in die Wildnis hinausgestoßen.

Lange irrte sie weinend umher, bis sie zu einem Brunnen kam, wo sie ihren Durst löschen wollte. Da fiel das eine Kind plötzlich ins Wasser, die Mutter griff mit den Armstumpfen darnach und holte das Kind wieder heraus. Die Arme waren ihr wieder gewachsen, das hatte der Zauberquell getan. Glückselig ob der Heilung schaute die Fürstin empor zum Himmel, und die Augen wieder zur Erde wendend, erblickte sie in nächster Nähe ein prachtvolles Schloß mit hell glänzenden Fenstern. Sie trat mit ihren Kindern in die Hallen und fand, was nur das Herz begehren kann, nur keine Menschen, d.h. sie ward von unsichtbaren Händen bedient, wie es einer Königstochter ziemt. Hier lebte sie sieben Jahre lang, täglich des Gemahles harrend. Dieser war inzwischen vom siegreich bestandenen Kriege zurückgekehrt, und als er die Wahrheit vernommen, mit seinen Rittern in die weite Welt gezogen, um die so ungerecht bestrafte und heißgeliebte Gemahlin aufzusuchen. Nach langem Irren kam er endlich allein in den Zauberwald und fand sein Weib und seine Kinder wieder. Er stieß ins Horn, daß es, weithin schallend, sein glänzendes Rittergefolge herbeirief, welches der wiedergefundenen Herrin huldigte. Dann verließen Alle in fröhlichster Stimmung die stille Stätte. Als aber die Fürstin mit dankendem Blicke noch einmal zurückschaute, war das Zauberschloß verschwunden, und es stand an seiner Stelle eine Dornhecke.


Quelle: Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden. 3 Teile, Zürich 1874

 

    

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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