In einem großen Dorfe lebte ein Ehepaar, welches so arm war, daß der Mann in die Fremde ziehen mußte, um sein Brot zu verdienen.
Weit von seinem Heimatdorfe fand er einen Dienst bei einem alten, guten Manne, bei welchem er sieben Jahre lang blieb. Als diese verflossen waren, und den Mann die Sehnsucht nach seinem fernen Weibe ergriff, bat er um seinen Abschied und um den Lohn. Sein Herr entließ ihn mit freundlichen Worten, gab ihm ein Brot in die Hand und erteilte ihm die drei folgenden Ratschläge: er solle nie murren, nie von der rechten Straße abweichen und sich vor Handlungen im Zorne hüten.
Unser Freund ging dankend seines Weges und kam gegen Abend in ein Wirtshaus im Walde, wo man die Gäste in Totenschädeln bediente. Das dünkte dem Manne sonderbar, und er war eben im Begriffe, den Wirt über seine eigentümliche Bedienung zur Rede zu stellen, als ihm der erste Rat seines Herrn einfiel und er ruhig in sein Bett ging. Am andern Morgen weckte ihn der Wirt und sagte ihm, er habe durch sein bescheidenes Schweigen, ungeachtet ihm diese Schädelwirtschaft aufgefallen sein müsse, alle diejenigen Gäste erlöst, welche darüber gemurrt. Nach diesen Worten führte der Wirt unsern Mann in den Keller, öffnete die Türen und ließ unzählige Verzauberte heraus, welche ihren Retter fast mit ihrem Dank erdrückten. Darauf verließ die ganze Gesellschaft das unheimliche Wirtshaus und ging fröhlich weiter. Da kamen sie zu einem Scheidewege, wo die Befreiten den alten Weg aufgeben und den neuen einschlagen wollten. Eingedenk des zweiten Ratschlages seines alten Herrn widerriet das aber unser Mann und ging, als die Andern ihm nicht folgen wollten, den alten Weg fürbaß. Und wahrlich zu seinem Glück; denn im nächsten Städtchen erfuhr er, daß seine Begleiter von einer Räuberbande entweder versprengt oder erschlagen worden seien. Zufrieden mit seinem Schicksal, setzte unser Mann seine Reise fort und kam bei Nacht in sein Heimatdorf vor seine Hütte, aus deren Fenstern aber voller Lichtschein drang. Darob verwundert, blickte er in das Wohnzimmer und sah, wie seine Frau einen jungen, schönen Mann herzte und küßte. Dieser Anblick erweckte in ihm die Geister der Eifersucht, und er griff schon nach dem Messer, um seine vermeintlich geschändete Ehre zu rächen, als ihm der dritte und letzte Rat des einstigen Dienstherrn einfiel, ja nicht im Zorne zu handeln und er sich ruhig ins Wirtshaus begab, um über sein Weib Erkundigungen einzuziehen. Dort erfuhr er auch den wahren Sachverhalt, daß nämlich jener junge Mann sein eigener Sohn sei, der am andern Morgen die erste heilige Messe lesen werde. Beruhigt ging der Mann zur Ruhe, stand frühzeitig auf und nahm unerkannt am Ehrentage seines Sohnes Teil, bis er am Abend im Hause erschien und von seinem Weibe, seinem Kinde und allen Gästen aufs Liebreichste empfangen wurde. Nach genossenem Nachtmahle schnitt der Vater das Brot seines ehemaligen Dienstherrn auf und heraus fiel ein Regen von Gold und Edelsteinen, daß die Familie die reichste wurde weit und breit im ganzen Lande.
Quelle: Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden. 3 Teile, Zürich 1874, in Tiraun bei Trons erzählt.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.