Zwei Jungfrauen von gutem Hause aus der Gegend von Escholzmatt entflohen den lüsternen Begierden des Talvogtes in eine Höhle am Scheibengütsch, die aus zwei Abteilungen, einer hintern und vordern bestand. Sie mussten mit Wurzeln und Wasser ihr Leben fristen, überhaupt den grössten Entbehrungen sich unterziehen. Das tat die ältere Schwester gern und freudig im Hinblick auf den Lohn im Himmel. Der Jüngern lag diese Welt mit ihrem augenblicklichen Genuss mehr im Sinne. Jene merkte den Wankelmut und betete heiss und heisser, dass ihre Schwester doch nicht abtrünnig werde von Gott und verlustig des Seelenheils. Da wird ihr im Traumgesichte befohlen, sie soll das Mädchen während der nächsten Nacht in der innern Höhle allein schlafen lassen und nicht zu ihr hineingehen, sondern bis am Morgen im äussern Raume verbleiben, was sie auch immer hören würde. Sie befolgte die Weisung. Aber ein markdurchdringendes Jammern und Schreien war 's, das drinnen während der Nacht ertönte und dann in leises Wimmern überging, bis endlich alles still wurde. Am Morgen ging sie hin und schaute nach. Sie erblickte von ihrer Schwester nichts mehr. Dagegen flog eine schneeweisse Taube aus und davon zum Himmel. Auf dem Boden umher lagen zerstreut die hellen Knochen, ganz benagt und von grossen Schlangen umringelt. Gott hat sie in dieser Weise schmerzhaft für ihren Wankelmut leiden und sterben, aber auch selig werden lassen wegen dem herzinnigen Flehen der ältern im Guten standhaften Jungfrau.
Quelle: Alois Lütolf, Sagen, Bräuche, Legenden aus den fünf Orten Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug, Luzern 1865. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch.