In der öden, wilden Gegend des Lämmerbodens im Turtmanntal soll einst ein Hirte zur Mittagszeit seine Herde gelagert haben. Eines Tages von Durst gequält, sucht er nach Trinkwasser und fand in einer Felsenhöhle einige Feuchtigkeit, die von der Decke herunterrieselte. Aber er bemerkte, dass dieses Wasser unrein und trübe war. Er ging weiter und setzte sich auf einen nahen Stein. Da seine Kleidung in der Felsenhöhle schmutzig geworden war, wollt er sie reinigen, bemerkte aber, dass die Flecken von gelber Farbe waren, als wenn Gold darauf getröpfelt wäre. Schnell ging er hin, um das Gold zu sammeln, fand aber den Eingang der Höhle nicht mehr. Betrübt sass er wieder auf dem Steine und verzehrte sein Mittagsbrot. Zur gleichen Zeit schnitzte er eine Vertiefung in den weichen Stein hinein. Bald bemerkte er eine rote Flüssigkeit, er nippte davon und fand, dass es köstlicher roter Wein war.
Die Leute im Dorf merkten dann am Abend, dass ihr Ziegenhirt etwas betrunken nach Hause kam, was ihnen unerklärlich schien. Um auf den Grund zu kommen, schlich man dem Hirten eines Tages nach und sah, wie er zur Mittagszeit aus einem Steine etwas Nasses schlürfte. Da bemerkte der Hirt die Späher und wollte schnell die Öffnung zudecken. Aber es war zu spät, die Späher waren schon zur Stelle; sie waren auch durstig und halfen dem Hirten den Wein aus dem Steinfasse trinken. Am Abend kam nicht nur der Ziegenhirt ohne Ziegen etwas angeheitert nach Hause, auch die andern konnten nicht mehr ganz sicher auf den Füssen stehen. Das war aber das letzte Mal. Von diesem Tage an rann kein Tropfen mehr aus der Felsenquelle.
TURTMANN
Quelle: Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Josef Guntern, Olten 1963, © Erbengemeinschaft Josef Guntern.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch