Auf Gurtnellen im Gute Grossprachtigen an der Reuss wohnte ein Ratsherr, dessen Frau mit zwei Schwestern, deren jede einen Ratsherrn heiratete, über den Waldstättersee her- eingekommen war. Der Grossprächtiger hatte ob Gurtnellen ein Maiensäss, „Berg" genannt. Auf diesem Berg musste er schrecklich leiden. Alle Knechte, die er dahin tat, starben in kurzer Zeit und so geschah es, dass gar keiner mehr sich herbeiliess und auch das Gut nicht verkauft werden konnte. Da herrschte grosse Verlegenheit. Endlich kamen zwei Walliser, junge Burschen, mutvoll und kräftig, welche nicht wussten, was fürchten sei und wünschten beim Rathsherrn Anstellung. Die Leute sagten ihnen, da würden sie bald tot sein und der Meister selbst gestand den Knechten, es sei halt gefährlich auf diesem Berge und mehrere seien dort einem Gespenst unterlegen. Die rüstigen Walliser liessen sich 's nicht verleiden und meinten, das Gespenst wollten sie schon „jaiken" (jagen). Frohen Mutes gingen sie auf den Berg. Am dritten Abend, als der einte kochte, warf ‘s ihm Russ durch das Kamin herab. Er lief mit der Pfanne in die Stube und fragte seinen Kameraden, ob sie zuerst essen oder das Gespenst jaiken wollten. Sie wurden einig erst zu jaiken und dann zu essen. Da ergriff der eine einen Knebel (Stock) und der andere einen Säbel aus heidnischer Zeit. Ersterer begab sich auf die Russdiele, um das Gespenst hinunter zu jagen und als er herauf kam, auf den obern Gang, wo man zur Diele gelangt, da riss ihn das Unding bei den Haaren. „Zieh nur hinauf,“ sagte er, „bin ich droben, so will ich dich schon hinabtreiben". Und kaum ist er oben, so treibt er das Gespenst vor sich her an das einzige Loch hin, welches von der Russdiele hinaus führte. Aber eben an dieser gefährlichen Stelle passte entschlossen der mit dem Säbel. In Gestalt einer schwarzen Katze springt das Ungeheuer durch diesen Engpass und im Nu holt der Tapfere einen furchtbaren Streich aus, welcher der Katze den rechten vordern Fuss abschlug. Wie sie ihn aber näher betrachteten, war es eine Menschenhand, an deren einem Finger noch ein Ring steckte. Doch fürchteten sie sich nicht. Am vierten Tage kam der Ratsherr um zu sehen, ob die Knechte noch am Leben seien. Sie erzählten ihm, was vorgefallen und zeigten ihm die Hand, die sie aufbewahrt hatten. Er erkannte den Ring als denjenigen seiner Frau, die seit gestern daheim krank im Bette lag und immer den rechten Arm verborgen und verbunden unter der Decke hielt. Es tauchte in ihm eine furchtbare Ahnung auf, die leider sich bestätigte, als er nachher zu Hause die Untersuchung machte. Die Frau Ratsherrin wurde als Hexe verbrannt.
Quelle: Alois Lütolf, Sagen, Bräuche, Legenden aus den fünf Orten Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug, Luzern 1865. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch.