Lange galt diese Person in Ursern als ungemein fromm. Endlich kam man hinter ihre Listen. Einst nämlich ritt ein Herr aus Andermatt an einem gewissen Garten in der Stadt Mailand vorbei und sah darinnen die Schneidergret Zwiebeln und Lauch ausziehen. Er hatte aber solche Eile und fuhr so schnell nach Hause, dass es der Gret unmöglich gewesen wäre, mit rechten Dingen ihm vorzukommen. Und doch war sie längst wieder in ihrer Hütte, oder besser, sie war nie auf längere Zeit fort gewesen. Nun schöpfte der Mann, als er solches inne geworden, begreiflich Verdacht und fing an mit einigen Vertrauten, denen er seine Erfahrung mitteilte, der Gret auf „die Eisen zu gehen". Nun stellte sich heraus, dass Gret am Fasnacht Mittag während der Anken in der Pfanne über dem Feuer schmolz, unter dem Vorwand im Garten vor ihrem Häuschen Zwiebeln zu holen, sich urplötzlich nach Mailand versetzte und mit Zwiebeln, die sie dort in einem Garten stahl, schon wieder zurück war, als der Anken die ebenrechte Schmelzhitze bekommen hatte. So machte sie 's fast alltäglich. Und weiter stellte sich heraus, dass sie ganz verkehrt gebetet hat; das Vater unser z. B. fing sie vom Schlusse an und hörte mit dem Anfang auf. Man fand auch, dass sie betete: „Brigitä, Brigitä Hagstäckä" und das „moffelte" sie immer so fort schnell nacheinander. Bei der neuen Kirche in Andermatt betete sie: „Nägeli, Nägeli auf und ab, nimm's Teufel aus dem Grab." Das wiederholte sie rasch. Es ward ferner bewiesen, dass Schneidergret schon vielen Schaden angerichtet habe. Sobald diese Taten ausser Zweifel waren, dachte man daran, sie in Schatten zu setzen, aber sie konnte nicht gefangen werden; denn sobald sie mit einem Fuss auf die Erde kam, so konnte kein Mensch mehr sie halten, sie war verschwunden. Endlich übernahm es ein sehr starker Göschener sie zu packen. Er passte auf, wann Gret in die Kirche gehe und liess in der Stille eine Benne (Wagen) vor der Kirchtüre bereit halten.
Neben der Schwelle stehend, ergriff er in den drei höchsten Namen die Unholdin in dem Momente, da sie unter die Porte kommend, noch mit keinem Fusse den Boden ausserhalb der Kirche betreten hatte. Dreimal drehte er sie ringsum und schwang sie kräftig in die Benne. Wie sie drinnen lag, sprach, Gret: „Jetzt ist's g‘schen ums Kindlis Milchli.“ Drauf fuhren sie mit ihr zum Galgen zwischen Andermatt und Hospental, wo der Scheiterhaufen bereitet war. Kinder standen umher und schauten zu. Da rief Gret ihnen zu: „Ja, meine Kinder, heut gibt's einen warmen Tag." Auf dem Holzstoss oben lag eine graue Katze, die herunter schaute. „So, bist bereitet, hast lang schon auf mich gewartet", sagte die arme Sünderin zum Tier. Ein kräftiger Arm warf sie jetzt aus der Benne in die Lohe.
Schneidergret ist Hexe geworden, als sie eines Tages, unzufrieden mit ihrem Lose, sprach: „Wäre ich reich, ich wollte tun, was man verlangte." Hernach begegnete ihr im Göschenerwald der Teufel, mit dem sie den Bund einging. Er gab ihr die Schooss voll Geld, und die Kraft sich unsichtbar zu machen und so schnell zu sein wie der Menschen Gedanke.
Dafür verpflichtete sie sich, alle Tage für 5 Schilling Schaden zu machen. Der Teufel verschwand und alsbald kamen Holzweiber, welchen sie das Geld zeigen wollte. Wie sie die Schürze auftat, war lauter Rossmist d'rin; sie blieb aber doch beim Ackord.
Quelle: Alois Lütolf, Sagen, Bräuche, Legenden aus den fünf Orten Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug, Luzern 1865. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch.