Freiherr Anton von Turn liess 1375 den Bischof Tavelli vom Schloss Seta hinunterwerfen. Darum erhoben sich die Oberwalliser, die treu zu ihrem Bischof hielten, gegen ihn und belagerten seine Burg in Niedergesteln. Sie leistete aber jahrelang den hartnäckigsten Widerstand.
Aus dieser langen Belagerung erzählen die Leute noch als Sage, dass die Oberwalliser, als sie mit Gewalt nichts ausrichten konnten, sich entschlossen, die feindliche Burg ringsum gut abzuschliessen und ihre Besatzung durch Hunger zu bezwingen. Achtzehn Monate lang waren bereits alle Zugänge zum Schloss auf das genaueste bewacht, und niemand erhielt Erlaubnis weder zum Ein- noch zum Ausgehen. Schon lange erwartete man die Übergabe der Festung, weil man die Besatzung bereits in den ersten Monaten magerer und elender wollte gesehen haben. Da blickten eines Morgens, als die aufgehende Sonne die Burg so freundlich beschien, wieder aller Augen erwartungs- und hoffnungsvoll zu ihr empor, und eine Reihe der schönsten und frischesten Hammen hingen da vor den Fenstern, und mit hellklarem Weine trank man spöttisch auf die Gesundheit der erstaunten Belagerer.
Da ward der Mut der Oberwalliser auf eine harte Probe gestellt. Doch sie verloren ihn nicht, verdoppelten ihre Wachsamkeit und spürten aufs Neue nach verborgenen Zugängen. Und sie fanden einen, der durch den Berg ins Lötschental führte; dorther war die Besatzung reichlich mit Nahrungsmitteln versorgt worden. Das ergrimmte die Oberwalliser derart, dass sie die Leute von Lötschen den obern Zenden untertan machten. Von dieser Knechtschaft kauften sich die braven Talbewohner, die gegen ihren rechtmässigen Herrn nur ihre Pflicht erfüllt hatten, erst kurz vor der Französischen Revolution mit schwerem Gelde los.
NIEDERGESTELN
Quelle: Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Josef Guntern, Olten 1963, © Erbengemeinschaft Josef Guntern.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch