Die heutigen Ausserberger Alpen Raaft und Leiggern waren früher das ganze Jahr hindurch bewohnte Dörfer, sogar eigene Gemeinwesen. Eine grosse Quelle in der Augstkumme tränkte ihre durstigen Wiesen. Zwei Wasservögte, für jede Ortschaft einer, hatten für gerechte Teilung des Wassers zu sorgen. Es war das keine leichte Aufgabe, weil oft jeder meinte, der andere sei im Vorteil.
Eines Jahres nun waren zwei leibliche Brüder Wasserhüter von Raaft und Leiggern. Sie kamen eines Tages bei der Schalte, wo sich die Wasser teilten, zusammen. Aber nicht einmal sie konnten sich über das Wasser in Güte einigen. Sie stritten miteinander, ergriffen im Zorne die Spaten, schlugen aufeinander und trafen sich gegenseitig so unglücklich, dass sie beide tot liegen blieben. Als man die toten Brüder fand, war auch die schöne Quelle versiegt. Bald fanden Hirten der Leiggernalpe in den östlichen Felsen des Bietschtales eine neue Quelle, die niemand nützlich war. Es war offenbar der versunkene Brunnen der Augstkumme. Jetzt waren die streitenden Brüder, die zwei Dörfer Raaft und Leiggern, wieder einig. Mit vereinter Kraft schleppten sie roh behauene Baumstämme vor die Öffnung der neuen Quelle, zimmerten eine Wand, um dem Wasser den Ausgang zu versperren und diese zurückzulenken auf ihren Berg. Aber die guten Leute hatten nicht gerechnet mit der Gewalt des Wassers, das die künstliche Wehr durchbrach. Zwei Bächlein fliessen heute noch aus den Öffnungen, die bei den Ausserbergern die Nasenlöcher heissen. Man fand sogar die Spuren der künstlichen Verbauung.
AUSSERBERG
Quelle: Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Josef Guntern, Olten 1963, © Erbengemeinschaft Josef Guntern.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch